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Bettenburg den 14ten Septbr. 1811.

Ist Könitz schon wieder nach Meiningen zurückgekehrt, so weißt Du auch, lieber Ernst! welche seelige Tage das Voßische Paar mir und meinem Schuler gab , und wenn Dir auch Niemand etwas sagte, so weißt Du es doch: Sie blieben 14 Tage bey mir, leider, litt ich einige Tage dazwischen wie an einen argen bösen Hals.

Wenn Heinrich mir schreibt so kommst Du ihn immer ins Herz und im Kopfe und so kommt auf das Papier so manches was noch mehr für Dich als für mich ist; was ich aber doch gerne und dankbarlich mitnehme, Dir aber doch nicht allzulange vorenthalten darf. Ich dictire daher, nachdem ich eine capitale Hammelskeule auf den Tisch, dann theilweise auf der Gabel, und nun größtentheils in Wiedervereinigungspunkt des Magens habe. Und Du mußt nun mit dem Uebersatten vorlieb nehmen. Der Hungrige machte durch allzulange Briefe vor dem Eßen seine Freunde Könitz und Heinrich Voß vielleicht auch übersatt. Liebst Du mich nicht eben so wie mich Heinrich liebt, so müßen Heinrichs Briefe Dich auch übersättigen; aber ich wage es darauf hin und gebe Dir alles was ich von ihm habe. Auch des guten Heinrichs gute Mutter mußt Du doch Schnacken hören. Die Frau ist mir so ehrwürdig und schien noch ehrwürdiger als ihr Mann; lieb sind sie mir beyde gleich. Die kleine Zettelchen waren Beylagen zu Oehlenschlägers Correggio, ich erwarte aber diese kleine Dinger auch wieder zurück. |2 Den Homer und einen Brief von Heinrich hat wahrscheinlich der Teufel geholt. Nicht Heinrichen allein sagten die Alten daß sie Dir gut sind, Dich herzlich lieben. Auch zu ihren Abraham sprach die Alte von Dir, wie ich aus einen Brief hörte, den ich mir so heraus häckelte, ehe er von hier nach Rudolstadt abgesandt wurde.

Wenn Du den Correggio geschrieben hättest, ich glaube, Du würdest ihn eben so liebend und schön behandelt haben als Oehlenschläger; und spricht auch Dich dieser Correggio nicht an, so ist die Zauberlampe wirklich eine Zauberlampe. In der kommenden Woche schicke ich Correggio an Schulern (der ganz Dein ist und es zu seyn verdient) und dieser soll ihn Dir senden. Hast Du einmal eine recht gemüthliche Stunde und magst nicht selbst produciren; so lese Axel und Walburg doch noch einmal. Hackon Jarl mußt Du in einer genialischen ergreifen. Deine lieben Buben kommen nicht, und wenn sie endlich doch noch kommen sollten, so wird für den wackern Karl wenig mehr zu thun seyn, denn durch die anhaltende Dürre ist fast die ganze Natur ihres Schmuks beraubt und viele Bäume sind jetzo schon fast blätterlos. Ueber Antons Gemählde der Oberjägermeisterin von Bibra hielt hätte ich mit Schulern manchen Zwiesprach. Ihn war alles so recht, mir fängt der Bube zu bald an in die Kunst des Idealisirens einzugreifen. Schuler versteht aber wohl mehr von der Kunst als ich. Die alte Dame ist vergnügt wie – eine Verjüngte.

Wangenheim ist mit Deiner Isidora ganz unendlich zufrieden, |3 er will Dir bey erster Muße selbst darüber schreiben . Eine Stelle seines Briefs mußt Du noch hören: "Schon die Aufgabe die sich unser Freund macht, ist originell und schön. Und wie lieblich, wie durchgreifend hat er die alte unerkannte Wahrheit, die Stimme des Gewißens auch in der Liebe aus dem Schutte, den der verfluchte Verstand über alle Schätze der Wahrheit herübergeschüttet u. aufgethürmt hat, hervorgezogen und dem geistigen Auge der Vernunft durch das Gemüth hindurch näher gebracht. Andere große damit in Verbindung stehende Gedanken haben ihn bewegt, und lebendig läßt er sie vor uns in großen Anschauungen stehen. Ich kann wohl sagen: ich weiß nicht ein Produkt in der Litteratur anzugeben, wo der Punkt der Wirklichkeit, an welchen die Herrlichkeit der Idee anzuknüpfen sey, so genügend angegeben wäre. Das Ideale scheint mir darin durchgängig realisirt, so wie das Reale idealisirt und dadurch eben das Höchste in der Kunst und im Leben erreicht".

Ueber Wangenheims Versetzung nach Tübingen, die mir in aller Hinsicht sehr erwünscht ist habe ich Könitzen geschrieben, und jetzo nicht Zeit zu wiederholen.

A prospos;! wie fiel den die Probe mit dem Herrn Koob aus? nicht den kleinen Sohn des Hof-Laqueien , sondern den, den die Schwendlern empfahl, oder nur auffand, und er bey dem Hoftrompeter logiren soll. Es ist mir jetzt |4 daran gelegen etwas davon zu wißen; denn der junge Mensch, den ich in hiesiger Gegend proben sollte bestand die Leseprobe so schlecht, daß ich auf die Schreibeprobe, die wahrscheinlich gut ausgefallen wäre, ganz renoncirte, und Herr Languth, Schulseminarist zu Hildburghaußen, der mir bis auf etwas schwaches Sprach-Organ ganz zusagen würde, weiß wahrscheinlich nicht so recht ob er mir seine Zusage halten soll oder nicht, denn vor etwa 3. Wochen sandte ich einen Boten an ihn ab, um das Ultimatum zu erfahren, und erfuhr, daß er sich erst noch dies und jenes erkundigen müßte, daß er aber binnen 8. Tagen selbst kommen oder mir Antwort schicken würde, und nun warte ich noch auf beyde. Da ich nun keine Wahl habe so kann ich auch nicht mehr auf die höchste Vollkommenheit rechnen und Du hast die Güte mir über Herrn Koob nächstens zu referiren und auch wieder umhorchen zu laßen. Möglich ist es aber doch daß Languth noch zu mir zieht, u. Du erhältst auf disen Fall sogleich Kunde.

Fouquet hat sich durch seine vaterländische Schauspiele rückwärts gedichtet. Ein Kummer wird dies Könitzen seyn, weil ihm Sigurd so anzog. Trotz meines vollen Bauches schnackte ich gerne noch weiter, denn ich komme jetzo doch im Zug, aber ich muß bey einer würzburgischen Behörde, die noch Excellenz dazu ist, und ehedem sehr viel war, bey Seyferten , einen Besuch ablegen. Lebe wohl Lieber, und grüße mir Frau und Kinder und wer zu Dir kommt und auch lieb hat

Dein

T.

Zitierhinweis

Von Christian Freiherr Truchseß von Wetzhausen an Johann Ernst Wagner. Bettenburg, 14. September 1811, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1110


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Textgrundlage

H: Baumbachhaus Meiningen, IN XIV-3/6538
1 Dbl. 4°, 4 S.

Überlieferung

D: Ernst Wagner’s sämmtliche Schriften, hg. von Friedrich Mosengeil, Bd. 12, Leipzig: Fischer 1828, S. 172-176 (unvollständig, ungenau).