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Meiningen, d. 24ten Juny 1815

Beynahe müßen Sie, mein hochverehrter Freund, glauben um meine Feder einmahl wieder in Thätigkeit zu setzen und unsern Müller zu begrüßen, gehörten solche Impulse dazu, als die neuesten Schlachten und – Gottlob! – Siege !! – Wahr ist es, ich harrte lang und stumm dem großen furchtbaren Moment, welcher hätte er sich mit seinen Ereignißen, gegen die Sache der Deutschen gewendet, von Folgen gewesen wäre, die sich weder aussprechen noch ausdenken laßen, und in dieser beklommnen Stimmung, verschloß ich gern mein Innres. Gedacht und dankbar gedacht haben wir Ihnen recht oft, und als einmahl eine Hoffnung da war, als würde mein S. nach Gotha versendet, nun da reihete sich Weimar gar freundlich an den Reiseplan, der mich wenigsten zu den Freunden geführt hätte. Schwendler hält die Reise noch nicht für aufgehoben und darum hege ich noch eine leise Hoffnung, daß mir der Himmel die Freude bescheeren könnte, Sie zu sehen.

Aber, lieber edler Freund, welche Opfer, welche Anstrengungen haben die Preußen gebracht; mein Liebling Leopold war nicht dabey, seine Anstellung ist erst bey des Königs Anwesenheit in Berlin und zwar beym 4ten Armeecorps im Westpreußischen Uhlanen Regiment erfolgt. |2 Ich erwarte ihn in diesen Tagen, führt ihn seine Marschroute über Weimar so wird er nicht verfehlen sich Ihnen zu empfehlen, und Ihr Genius vereint mit meinem Flehen schütze ihn. – – Ich habe einen Courier gesprochen, zwar nicht den, welcher die Sieges Nachricht dem König überbrachte , aber der dabey war als der Sieg-Verkünder an kam. Mit allem was die Tapfern seit 1812 bestanden und überstanden haben, laßen sich die letztren Treffen nicht vergleichen sowohl an Ueberlegenheit des Feindes als an verzweifelter Wuth die den Anführer und seine Horden beseelte. Nur die seltenste Ausdauer konnte es verhindern daß Napoleon den ersten Tag nicht wirklich siegte und noch am 2ten Tage waren die beyden Feldherrn in sehr bedenklicher Lage, großer Gott, 10 000 Todte und Verwundete kostete es meinen Preußen und der Prinz Schoenaich versicherte mich, der Obrist Thiele habe gesagt genannte Zahl wäre nicht übertrieben. Die Zietensche Brigade ist fast vernichtet, von den Meinen waren dabey, der Sohn meines Bruders, zwey meiner Schwager und mehrere Vettern . In solchen Augenblicken fühle ich mich zwar mit allen Preußen so nahe verwandt, daß es für mein Herz keine |3 Bluts Verwandschaft noch bedarf, um desto sorglicher ist mein Herz. Ueberhaupt müßte man diesen Krieg nicht von einem ganz andern Standpunkt nehmen als alle bisherige, der natürliche um die Politik sich nicht kümmernde Mensch, müste verzweifeln, das Resultat davon sey wie es wolle. Die Verkehrtheit und Halbheit der frühern Maßregeln kosten nun Tausenden das Leben, und kein glänzender Sieg giebt der Gattin den Gatten, den Sohn der Mutter wieder, das Glück von Vielen ist unwiederbringlich verloren! Entschuldigen Sie, mein Freund, daß ich mich abermals vergeße und in meinen trüben Ernst verfalle, buchstäblich gilt das alte Sprichwort bey mir, erst wenn das Herz voll ist, geht der Mund über.

Wie geht es Ihnen? wie leben Sie und haben Sie einen Sommer Plan? diese Fragen liegen meinem Herzen sehr nahe, wer weiß liegt in der Beantwortung der Einen oder der Andern irgend eine Berührung, die uns zusammenführen könnte. Schwendler ist sehr unstet und flüchtig, zwar nicht in weite Ferne, aber selten zu Hause. Die rußischen Cantonirungen und Verpflegungen, das Meiningschen Heer welches immer nebst den Cobur |4 gern und Hildburghäusern noch nicht ausmarschiert alles dieses setzt ihn häufig in Bewegung, bald nach Schweinfurt Coburg Schleusingen, jetzt ist er in Hildburghausen.

Amanda erwarte ich im August, sie sehnt sich unbeschreiblich zurück und hat übrigens treu und waker die Schwester und Tochter Pflicht erfüllt .

Anliegend liebster Müller, finden Sie eine von mir hier berichtigte Quittung, de ß r en Erhebung Ihnen denke ich nicht lästig seyn wird, nochmals den herzlichsten Dank für Ihre Güte gegen Leopold . Die an der Summe fehlenden 39 [...] Xr. fallen hier in eine kleine Berechnung die Schwendler wegen Abschrifts Gebühren mit Ihnen hat. So sagte er mir bey seiner Abreise, es waren glaube ich Congreß Akten welche ein hiesiger Copist für Weimar abschreiben mußte.

Mit Sehnsucht sehe ich einigen Worten von Ihnen entgegen, der Himmel gebe uns frohe Kunde vom Freunde, der Freundin und dem lieben Adelbert. Ewig mit dankbarer Liebe

Ihre

Freundin
Henriette.

Zitierhinweis

Von Henriette Schwendler an Friedrich von Müller. Meiningen, 24. Juni 1815, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1125


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Textgrundlage

H: GSA, 68/540, Bl 29-30
1 Dbl. 8°, 4 S.