Von Richard Otto Spazier an Ludwig Börne. Bayreuth, 15. Dezember 1825, Donnerstag

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Baireut den 15ten Decbr. 25.

Wenn der Mensch zweimal vorzüglich die Wellen des unendlichen Lebenstromes der Menschheit mit kleinern oder größeren Ringen bewegt – einmal wenn er in ihn selbst aus einer höhern Welt hineintaucht – das zweitemal, wenn er aus ihr in jene wieder zurück – geht – so kann es trotz des tiefen Schmerzes in der Brust über das Auftauchen eines heiligen großen Wesens das Herz erheben und erfreuen, schaut es die Fluth dadurch in dem Wogen des Sturms – denn in der Bewegung nur – der Herzen wie der Völker – ist und erzeugt sich Leben – in der dumpfen Ruhe ist nur Tod. – Ich halte unsre Zeit, "in der man die Büchse von der Wand nicht nehmen darf" – für einen so stehenden Sumpf – so starr und regungslos – daß mich die bewegte |2 sprudelnde süße klaare Quelle – die ich jetzt in ihm rieseln sehe – innig erquickt und erhebt – ich meine Sie und Ihre Denkrede auf Jean Paul's Tod. –

Kann es Sie vielleicht freuen, wenn ich Ihnen sage, daß ich gestern Abend – an der Stelle, wo er heimging – im Angesicht seines Bildes, das auf uns herabsah – seiner geliebten Gattin, – seinem geliebten Kinde – mit inniger Rührung, Erhebung und Freude – um so größer als ich von Ihrem Sein bisher noch nicht gewußt – wohl verzeihlich, da der Jüngling ja besonders der Vorzeit gehört – den Erguß Ihres, unsre Zeit wie den großen Todten mit gleicher Schärfe und – Liebe erfassenden Geistes – gelesen – und wir dadurch wieder eine heilige Stunde der Erinnerung an ihn gefeiert – kann Sie das freuen – so bin ich froh, auf diese Weise Ihnen meinen Dank darbringen zu können. –

|3| Wohl sei unser Herz sein Grab – aber nicht eines, in dem das, was darin liegt – verwest – sondern eines, das in üppiger Fülle, getränkt u genährt durch das, was er umschließt – Frühlingblüthen hervortreibt – vielleicht Früchte zur Reife bringt. –

Richard Otto Spazier.

Zitierhinweis

Von Richard Otto Spazier an Ludwig Börne. Bayreuth, 15. Dezember 1825, Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1149


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Textgrundlage

H: UB Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main , Nachlaß Ludwig Börne , Nachl.L.Börne B VI Nr. 33, Blatt 66-67
1 Dbl. 8°, 2½ S. Auf Notiz vfrH: von R. O. Spazier | Bayreuth, Dec. 1825.


Korrespondenz

A: Von Ludwig Börne an Richard Otto Spazier. Frankfurt am Main, 8. Januar 1826

Präsentat auf S. 1 aorR: beantwortet | d. 8 Jan. 1825; auf S. 4: von R. O. Spazier | Bayreuth Dec 1825. Der Brief wird auszugsweise im Vorwort des ersten Bandes von Richard Otto Spaziers "Jean Paul Friedrich Richter. Ein biographischer Commentar zu dessen Werken" (Leipzig 1833) zitiert. Das unpaginierte Vorwort ist als Brief an Börne von "Anfangs Januar 1833" angelegt.