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Paris 10. Febr. 1803

Emanuel! Mein Emanuel!

Ich thieriotisire Dich wieder, ich nehme Dich wieder in Beschlag, ich laße Dich lange nicht wieder aus den Händen.

Es war nämlich nahe daran. Ich bin im Aufstehn von einem langwierigen – fast acht tägigen Krankenlager, auf dem ich weder viel reden noch schluken konnte, weils ein Halsentzündungsfieber war u. auf dem ich schon einen Brief im Kopfe angefangen hatte, der sich anfing: Adio, Emanuel – – weil ich an der Möglichkeit zweifelte, in diesem Neste, mit bei dieser Unpflege, einer wahren Gefahr zu entkommen. Jetzt kann ich Gottlob dem Neste selber bald entlaufen.

Sei genesend gegrüßt, wie vorhin sterbend, Du meiner Seele Seele, mein andächtig geliebter Emanuel! "Was an uns es werth ist, wollt' ich schreiben, das findet sich wieder oder verlor sich nie, weil es so für den Raum wie für die Zeit in der Ewigkeit fest sitzt – u. den Rest hole der u. der, wann es ihm gefällig ist. Aber man muß sich diese Religion ein wenig einkleiden – u. dazu dient die Trauer."

|2 11.

Laß' uns nachholen, was wir durch diese lange Pause in meiner Stimme, die noch länger in meiner Gesundheit ist, versäumt haben.

Vom 1. u 2. Januar hab ich einen Brief-Anfang an Dich vorgefunden , den ich diesem anhänge.

Dann bekam ich Deinen vom letzten v. J. bis 2. Jan. 1803 (Du weist doch aber, daß Du mir auch noch eine Antwort, auf die Antwort Deines vorletzten , schuldig bist. Vom 27 od. 29 Dez. etwa .) Für den Elevenplan u. für die Ausführung nehm' ich Dein Lob an, aber in der Geschichte der Annahme ist doch nur Eitelkeit. – Dein Lob, sagt' ich; ich meine Deine väterliche Billigung.

Es ist mir hierin ein großes Glük, daß ich Dich habe, u. auch meinen Bruder ; so bin ich noch immer in jener meist süßen Abhängigkeit des äußerlichen Lebens, aus der ich sonst lange emanzipirt wäre.

Rode ging sehr schnell durch Teutschl. nach Petersburg, u. kommt auch bald wieder zurük. Der ist schon sehr débauché , und unser Paul ist erst ébauché (skizzirt) darum sag ich wenn Zeit Rosen bringt es kann mit der RosenZeit noch etwas Roden(heist auf griech. Rosen)ähnliches aus dem Kinde werden.

|3 Die Schlegel hab ich gefragt nach Florentin aber man will nicht mit der Sprache heraus. Man fragte lieber, wer denn der ewige Jude mit Fragen frage, u. ich antwortete daß es einer wäre, auch genannt hab ich Dich aber nichts weiter. Dazu bin ich ihnen u sind sie mir noch nicht genug. Fast scheint es wir [...] rüken einander durch Abwesenheit näher. Während der von meiner Krankheit veranlaßten nämlichen schrieb sie nach meinem Befinden, ich antwortete, hierauf seitdem führen wir einen ord. Briefwechsel, u. noch heute Abend hab ich einen ziemlich langen zu erlaßen vor. Aber ich kann mich ja Deines kl. Cursiv bedienen u Dir alles kopiren.

"Lieber Sohn

Ich habe sie scherzhaft an Mutterstatt angenommen.
! Sie haben entw. einen Liebeshandel oder die Grippe
So heißt die jetzt grassirende Krankh.
; denn wie hätten Sie sonst so lange nichts von sich hören oder sehen laßen können. in beiden Fällen reklamir' ich mein Mutterrecht, u verlange daß Sie wiß es uns wißen laßen wie es Ihnen geht, damit wir auf jeden Fall mit Rath und That beyspringen können.

Recht freundliche Grüße!

Dorothea Schlegel

Den Freitag / (11. Febr.) wollen wir einem engern Ausschuß des Sonntags die Genoveva von Tiek vorlesen; sind Sie weder todt noch krank, u wollen Sie dabei seyn, so stellen sie sich hübsch b. Zeiten ein pp"

"Liebe Tochter! Ich habe bloß die Grippe, u. nächstens gehabt, hoff' ich. Bin ich also auf den Freitag nur todt oder gesund u nicht krank, so stell ich mich ein.

Th.

Da Sie mir beispringen wollen, so können Sie mir alle Morgen mit der petite poste artig schreiben."

|4 Heute früh schrieb ich lustig ein 2tes Billet :

"Ich komme nicht, beste Frau Friedrichin , weil ich zwar gesund u roth u morgen nicht todt aber inkapabel bin auszugehen, indem ich das Abschiedsfest des Apothekers feiere. Ich wünsche daß Sie das 2 solstück für diese Nachricht mit solcher unverstellten Heiterk. geben mögen als ich es Ihnen koste. Leben Sie wohl u lesen Sie gut heut Abend d. h. für Ihre Brust. (Sie ist oft krank v. Schwindel pp)

P.S. Reponse s'il Vous plait "

Th.

Darauf bekam ich die Antwort auf mein erstes :

"Ein vernünftiger Deutscher sollte, meint Schlegel, die Grippe eigentlich gar nicht haben können; Ihnen wollen wir es aber wegen Ihrer großen Jugend zu Gute halten; nur müssen Sie sich zu beßern suchen: sehr lange kann man Ihnen dergleichen nicht mehr nachsehen. Ich rechne sehr darauf, daß Sie im Mittelp. der Stadt wohnen, also Alles was Sie zu Erfrischung u Annehmlichk Ihrer der Krankh. brauchen, leichter haben können als wir hier auf dem beinah Lande. Sollten Sie ab etwas wünschen was ich Ihnen verschaffen könnte, so laßen Sie mich es ja wißen. Die Grippe haben wir zwar nicht aber sonst doch allerhand was eben nicht angenehm ist. Der Schnee u. die Kälte ruiniren mich noch mehr da die Tage nun schon so hübsch lang werden u man dies Leichentuch der Erde desto länger vor Augen haben muß. Wenn ich die helle Sonne auf den kalten Schnee scheinen sehe so macht es mir die Empfindung als hörte ich ein gutes Gedicht in schlechter Gesellsch. vorlesen.Uebrigens, mein lieber Hr Sohn wenn Sie morgen nicht todt u nicht gesund sond. bloss krank sind, verbiete ich Ihnen auszugehn bei der Kälte, wir lesen jeden Freitag so Gott will, also versäumen Sie nicht gar viel; halten Sie sich warm u ruhig. – – – Der Himmel nehme Sie in s. Schutz, beßern Sie sich.Dorothea.

Sie haben doch wohl keinen französ. Arzt? + + +

Zum Sonntag müssen Sie besser seyn da ist Philipp s. Geburtstag ."

|5 Ueber der Antwort hierauf bin ich jetzt u kann sie (wenn Du mir erlaubst?) in 2 Briefen auf einmal schreiben.

"Recht kindlichen Dank für die mütterliche Epistel! Mit 1500 Freuden prolongir' ich den Briefwechsel, weil ich so unter ein paar Tagen noch nicht ausgehen darf. Ihr thut mir aber Unrecht. Grippe nannt' ich meine Maladie nur aus Verachtung u. weil Sie mir nur die Wahl nur unt. Grippe u. Liebeshandel ließen. Dergleichen ist doch aber kein Liebeshandel: es war ab. eine Halsentzündung, die nicht viel Parliren verstattete, nebst soviel Galle als man nur als ein Deutscher in Paris sammeln konnte. Ich vollends in meinem verdammten Nest im Mittelp. der Stadt, wo ich artig verunpflegt wurde. Gern hätt' ich oft zu Ihnen hinaus geschrieben od geschrieen, mir das Feuer vollends anzumachen, wenn ich im Bett im Rauch erstikte - u. was dergleichen bitterliche Klagen mehr sind, die ich nun mit Muße anzustellen gedenke.

Man sagt, daß seit einigen Tagen ächte Kälte ist. Ich bin, weil ich übrigens warm sitze, ganz kalt hiebei, u so verblieb' ichs bei Ihrem Augen-Frösteln. In der That, ists nicht besser als Regen u Nebel?

Ich habe zwar wohl keinen franz. Arzt, denn er radebrecht es hinlänglich, aber doch einen englischen. Hätt ich doch einen deutschen haben können! Ihren lustigen ? Jetzt kann ich die Scylla nicht mehr umschiffen.

Sobald Schlegel in die Stadt kömmt (u er muß bei mir vorbei) so begehr ich daß er mir einen Band von Shaksp. od von Leßing (er giebt ihn hier im Auszug heraus ) (nur auf 2 Tage, mein Herr) mitbringe od sonst was u wenn er sich vor der unvernünft. Grippe zu sehr fürchtet, daß er es unten abgebe ab rekommandire als höchst preßant.

Dieses Schreiben fällt länglicht aus. So ist es ein dopp. Beweis meiner Beßerung.Lebt wohl, im Dualis.

Th.

Mein lieb Philipp (er ist ihr einziges Kind, 10 Jahr alt u hat mich besond. lieb) Wenn ich Dich auch Sonntags nicht sehen könnte, so wünsch ich Dir doch: daß Du wünschtest, so oft es anklopft, es wäre Thieriot. (bezieht sich) Wenn Du so alt wärest wie Dein Adoptivbruder, so würdest Du wißen, daß ein Wunsch fast allemal mehr werth ist als s. Erfüllung. – Uebrigens freut es mich mein Prinz daß wir in 1 Monat geboren sind . Jene Sympathie wird mir hieraus ganz erklärlich und – wie gesagt ich werde Dirs nie vergeßen, daß Du damals wünschtest es wäre

Thieriot"

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Verzeih, wenn Dichs nicht eben ganz intereßirte. Ich wußte nicht daß es so lang würde.

Was ich namentlich an ihnen vermiße, das ist die innre Bescheidenh. in ihrem Dafürhalten von sich, u oft selber die äußere in ihrem Urth. üb. andre. –

Unterdeßen hab ich auch die Briefe von Meyer gelesen, u kann sie Dir aufs neue empfehlen von der beschr histor. Seite. Sein Hang zur Empfindelei u Lobrederei (auf Bonap. u s. Portraitmaler pp) hat wohl nur selten den Factis etwas anhaben können, wie sie im übrigens groß [...] stilisirten Tüilleriengarten z. B. einige Gartenpartien zu schön verschönert. Alle Vegetation ist kümmerlich auf diesem Kalkboden. – Den Jardin des Plantes ärger' ich mich sehr im Sommer nicht gesehen zu haben.

– Wenn einer das verschiedenartige Schreien Singen (die meisten Ausruferinnen klingen wie fremd eine Art von Pfauen) menschliches Blöken, Durcheinanderfahren der Wagen u. Stinken auf den Straßen recht täuschend nachmachen könnte, wenn er dabei schmuziges Lumpenvolk, einen beklebten Boulevardsbaum u. einen Pfeiler des Palais royal voll bunter Affichen bis unten vorzeigen könnte: so sollt' es dem Andern bald werden, als wär' er in Paris. Aber die Anschauung ist freilich nicht das Wichtigste vom Reisen od Reisebeschreibunglesen.

– Viele Carnevals / VolksLustbarkeiten verspricht man sich heuer.

– Ich hatte kannte Deine HerzogGeorgiana noch nicht. Hättest Du mir aber noch lieber

Andern Dank mußt Du bei mir nicht suchen, als Unbegehrlichkeit.
Richters Entschuldigungen mit kopirt od. Deine Antwort wie ich auf der vor. pagina konzipirt. Was sagt Er od. was sagt er nicht zu den Aktenstücken? Das Billet an Richter gefiel mir beßer.

|7 12.

Nun hilf mir entscheiden: Soll ich von Straßburg nach Baireuth, von Frankfurt nach Baireuth, oder von Leipzig nach Baireuth? Auf die Frankfurter u. Leipz. OsterMeße nöthigt mich der / nicht das Verdienst. Und hier werd ich wohl den ganzen März noch bleiben müßen. Also könnt' ichs nur wieder kurz in Baireuth – Also geh komm ich lieber von der Leipz. Meße als Meßgeschenk für einen Theil des Sommers zu Dir. – ? – Ein Strich könnte noch durch die Rechnung geschehn, wenn ich im Orchester der Oper den Platz bekäme, um den ich verlorens angesucht, weil er doch 1400 fr. trägt u. Bekanntschaften Empfehlung (zu leçons pp) überdies. Dann blieb' ich noch 1 Jahr, u wenn ichs machen könnte, gar nur den Sommer, den ich so bedauern würde, zumal da mich diese große Oper häßlich ennüyirt.

Freimaurer werd' ich wahrscheinlich noch eh ich abgehe, nicht aus sonderlicher Neugierde, sondern wegen des äußern Vortheils. (wenigstens für die ersten Grade nicht)

– Hiebei der Saulszipfel, den ich mir als mein eigner David vom Roke geschnitten. Aber ein Rok von einem Pariser Schneider ist ein Kunstwerk, mein Freund, wovon nichts wegzunehmen ist. Daher ist der Zipfel fast unsichtlich klein.

Ich wollte Du schiktest mir mit umgeh. Post Dein Maaß von fast allen Gliedern Deines Körpers. Ich muß Dir Deine 2 Louis noch gut vertrödeln.

|8 Ich denke ich muß auch dem alten Weisse noch ein paar Zeilen schreiben.

Gieb mir soviel Aufträge noch, als Du willst und noch mehr, eh ich gar fortgehe. Mir graut nur vor dem Einpaken u das muß doch zuletzt einmal geschehn.

Noch eins, eine junge Frau v Hasver, geb. Plenke, Enkelin der Karschin, hab ich bei Schlegels kennen lernen – d. h. nicht lieben. Sie rühmt sich Richters Bekanntsch. (Liane hätt er sie getauft) u Schreibens u hat ihm noch kürzlich wieder geschrieben. Aber ihr Urtheil üb. Freunde ist windig, u. sie ist leicht.

– Machst Du keine Reise dies Frühjahr, sag'? – Hast Du den Titan nun gelesen? (Ich las wieder viel in den Mumien, die ich zum Glük mit eingepakt.)

Den Godwi, das hab ich schon tausendmal gedacht, bin ich verpflichtet Dir abzukaufen. Es ist immer ein verwirrtes Buch und auch der Verfaßer, den ich in Frkfurt zu sehen versäumen mußte, soll nach neueren Nachrichten nicht sehr sehenswerth seyn. Daß er Talent hat, laß ich mir indeßen nicht abstreiten.

– Was weiß man von der Kalb? Was von der Coburger Auswanderung ? (Verdammt daß die Chaussee von Cob. bis Schwarzach noch so wenig existirt) Was von andern Dingen u Leuten?

Ich wünsche Dir Zeit, Alles dies zu lesen u Lust, es zu beantworten.

Gott erhalte Dich mir, mein Emanuel

Thieriot

|9 P.S.

Willst Du ein Kleid von meinem Tuche? Hier sind Proben, wovon ich die Hälften behalten. (Mein Kleid ist von einem darunter, welches Gott weiß) Alle 3 à 56 fr. die Pariser Elle

u 5/4 breit

Zitierhinweis

Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Paris, 10. bis 12. Februar 1803, Donnerstag bis Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1263


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
2 Dbl. 8°, 8 S. und 1 Billett (Adressblatt), 1 S. Auf S. 9 (S. 1 des Billetts) das "P.S."; auf S. 10 (S. 2 des Billetts) Adr.: Monsieur Emanuel | à | Baireuth | en Franconie | Allemagne.


Korrespondenz

A: Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 27. Februar 1803
B: Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 31. Dezember 1802 bis 2. Januar 1803, Freitag bis Sonntag

Präsentat: am 27t beantw. – Der vorliegende Brief enthält Abschriften der Korrespondenz zwischen Thieriot und Dorothea Veit. Dorothea Veits Briefe sind abgedruckt in: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe (KFSA), Bd. 26.1, 3. Abt.: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel, hg. von Hans Dierkes unter Mitarbeit von Almuth Dierkes, Paderborn 2018, Nr. 78, 80, 84 und 87, S. 82f., 85f.. allerdings mit teilweise falscher Datierung, wie sich aus vorliegendem und dem Brief von Thieriot an Emanuel vom 17. Februar bis 11. März 1803 eruieren lässt. Thieriots hier abschriftlich wiedergegbenen Billetts und Briefe fehlen dagegen komplett.