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Heidelb., d. 10. Jul. 1817

Lauter Gutes aus Heidelberg, ihr lieben Eltern und lieben Overbecks! Ich schreibe heut, weil ich zu danken habe für die herlichen Nachrichten aus Göttingen, die mir Mut machen für den weitren Theil der Reise. Wagmann hat mir alles überbracht, auch die Ankündigung eines Briefs aus Ohsen. So fahr fort, liebe gute Mutter, dann wirst Du noch gesünder zurückkommen, als Du abreisetest. Alles grüßt Dich, und freut sich Deiner, denn solche Nachrichten gehn hier wie ein Lauffeuer herum. – Ich weiß nichts zu schreiben, als von Jean Paul, der morgen bei mir einen Punsch trinkt mit einigen guten Freunden, so a la Abraham in Rudolstadt. Den ersten Vormittag seines Hierseins schenkte ich ihm ganz, und führte ihn Straßauf Straßab zu Krethi u. Plethi, und wo wir hinkamen, gabs frohe, ja noch mehr als frohe Gesichter. Jean Paul ist gegen Damen galant, doch mit Maß und Ziel; er bleibt doch so ungefähr bei der Wahrheit, wenn auch in gesteigertem [...] Ton. Frau Paulus sezte sich etwas in Unkosten in ihrem Gespräch, was sie sonst selten thut; die Fräulein Tochter äußerte ihr entzücken im stillen Anschaun des großen Manns. Königlichen Spaß machen mir die unsinnigen Komplimente, die ihm geschnitten werden von seinen zahlreichen Verehrern, deren fast noch mehrere sind, als Heidelberg faßt. Ein Frauenzimmer aus der Gellertschen Periode, die aber mit der Zeit so ein wenig fortgekrabbelt ist (die Mutter erräth wohl, wen ich meine) sagte in unbändigem Fluß der Rede: "Ei, mein Gott! Die Fluten in Mannheim haben Ihnen zurückgehalten? Sie hätten nur kommen sollen. Wir alle Heidelberger hätten uns ins Wasser gelegt, und Ihnen als Brücke gedient. Das wäre der geringste Dank gewesen vor die so gar vielen, vielen, vielen Genüsse, die wir Ihnen verdanken." Jean Paul bleibt nicht leicht eine Antwort |2 schuldig; hier aber verstummte er, die Kühnheit der Idee anstaunend. Der Gastwirt steht sich gut bei Jean Pauls Leutseligkeit und anziehender Gutmütigkeit. Eine Menge Studenten speisen täglich außerordentlich bei ihm, den Wundermann zu sehn, und einen Wizbrocken zu erhaschen. Heute Morgen war Professor Cropp bei mir – Sie sehn liebe Eltern, ich bin so eine Art von Thürschwelle zu Jean Paul, und eröfnete mir, zu Sonntag sei eine Neckar Fahrt nach Neckarsteinach im Werk; ich sollte doch machen, daß Jean Paul dabei wäre. Die Sache war durch ein Billet gleich abgethan; und nun haben sich gegen die 70 eingefunden – wer alles, weiß ich nicht, aber ich bin auch dabei. Die Frauen wollen uns mit Essen tractiren, den Wein aber bringt jeder selbst mit. Da sage mal einer, ob wir dem Mann nicht tüchtigen Stof zu einer Reisebeschreibung geben. Was an Wiz und Gedanken unterwegs verschleudert wird, geht auch nicht verloren: das sammeln die Damen als geistigen Perlenschmuck. Besonders ist Frau von [...] selig, sie schwebt – – ich kann gar nicht sagen, wo sie schwebt; denn die sieben holbergischen Himmel reichen bei weitem nicht hin. In einigen Tagen werde ich bei ihr zu Mittag essen. Jean Paul hat eine wunderbare Gabe des Umgangs. Jedes gesprochene Wort scheint in ihm eine Idee zu erregen, die dann wie ein Wetterleuchten hervorblizt, und verschwunden ist. Buchhalten über seine Einfälle, das ist seine Sache nicht – wiewohl es Aug. Wilh. Schlegels Sache ist – er sprüht [...] von solchen Blizfunken, fast noch mehr, wie der Frau von Ende schwarzer Kater. Ernsthaftes, zusammenhangendes Gespräch fodre man ja nicht von ihm in Gesellschaft. Selbander mit ihm erzwingt mans, so wie gestern Abend, wo er mir viel von seiner Jugend erzählte. Wir saßen bis nach 10 Uhr zusammen. Es ist eine Wonne, ihm Zuzuhören, und alles |3 was er spricht, hat den Ausdruck der höchsten Rechtlichkeit. Nicht um nichts auch hat er das höchst gutmütige Gesicht, und das seelenvolle Auge, an dem man sich nicht satt sehen kann. – Mit dem Magnetisiren scheint er sich viel abzugeben. "Wir könnten gleich anfangen", sagte er zu Mamsel Paulus, "fehlt uns nichts als Redlichkeit". Und was hätte die nicht in dem Augenblick für eine Krankheit gegeben! und fast noch mehr das Gellertsche Fräulein, die wir eben dort fanden – Lisette Harscher! Die sah den Wundermann mit dem Blick der wehmüthigsten Zärtlichkeit an. Wenn das erst ruchtbar wird, wie werden ihm die Weiblein aufs Zimmer rennen, und sich kuriren lassen! Ich habe schon oft an die Eutiner Mädchen gedacht, wie die Lavatern nachliefen, und eine von Reimarus Töchtern den Eremitenkuß bekam. – Es thut mir doch gar leid, liebe Eltern, daß Sie nicht hier sind, nicht einige Tage mit ihm zusammen sein konnten; denn ob das so fortgehn wird mit dem Beifall, weiß ich selber nicht. – An meinem Heinrich IV nimmt er gewaltigen Antheil. Ich las ihm vor, während er den Schlegel in der Hand hatte, und er erstaunte über die Abweichung. Ich stellte ihn zur Rede, wie er Schlegeln so außerordentlich als Sprechkünstler hätte loben können. Er wollte mir nicht Rede stehn. Ich selbst, meinte er, hätte Schlegeln als tüchtigen Shekspearübersezer öffentlich genannt. "Das hat mir der liebe Gott schon verziehn", sagte ich ihm, "ich that es als junger Mensch nach damliger Einsicht; ich hielt damals auch meinen Othello und Lear für etwas hochvollendetes; denn sonst hätt' ich das Zeug nicht drucken lassen; jezt habe ich eins wie das andre |4 geringschäzen gelernt. Sie aber (fuhr ich fort) haben als vollendeter Mann solch ein Urtheil gefällt." – Doch genug von dem Mann, dem mir gar lieben Mann. Reinbeck ist nicht gekommen; auch ihn haben die Zeitungsnachrichten vom Manheims jüngsten Tagen abgeschreckt. Die Dörnbergschen Kinder sind schon über 8 Tage hier, gute, bescheidene Kinder, die der Emilie viel Freude machen. Dörnberg kommt im August, um sie abzuholen, leider mit ihm seine Frau. Vor der zittert alles in Weinheim wie in Heidelberg. Sie prunkt ehemals mit ihrem Unglück, jezt wird sies mit der Hoheit ihres Adels, und das hole der Kukuk! – Die fünf Vögelchen sind noch immer im Garten; sie sizen gewöhnlich neben einander auf einer Weinlatte. Die Störche haben nicht fortgefahren zu baun. Es will nicht fest liegen auf dem Schornstein. Sie schweben noch immer in der Gegend umher, und ergezen sich mit Spazirgängen am Neckar, und mit der Fischerei. – Frankirt ja keinen Brief, liebe Eltern. An mich ist ein frankirter verloren gegangen. Und Grießens Vermutung bestätigt unser ehrlicher Posthalter. Die Grießischen Calderonverse machen Jean Paul großen Spaß, so wie die ganze Geschichte, die auch Overbeck vernehmen muß. Dabei gewesen zu sein, das wäre so recht Jean Pauls Sache. Nun für heute genug. Ich hätte noch wohl allerlei zu erzählen, aber ich mag nicht mehr Zeit drauf wenden. Bei Emilie bin ich ein froher u. frohmachender Tischgast, besonders wenn ich allerlei Futter aus Jean Pauls Küche mitbringen, wornach jung u alt, wie meine Kanarienvögelchen, die Schnäbel aufsperren. Elise brennt vor Ungeduld, Jean Paul zu sehn; ich muß ihn aber noch einmal in Fraunzimmergesellschaft beobachten, eh' ich ihn hinbringe.

Euer Heinrich

Zitierhinweis

Von Heinrich Voß an Johann Heinrich und Ernestine Voß. Heidelberg, 10. Juli 1817, Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1338


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Textgrundlage

H: Universitäts- und Landesbibliothek Münster, N. Bäte, 1,11

Überlieferung

D: Ludwig Bäte, Kranz um Jean Paul, S. 16-19.