Von Emanuel Osmund an Georg Christian Otto. Weiher, 30. August und 1. September 1818, Sonntag und Dienstag

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Weiher bey Hollfeld, 30 August 1818.

Mein ewig rein geliebter Otto! Täglich, stündlich, beständig schreib' ich Ihnen oder bin ich im eigentlichen Sinne mit Ihnen in Korrespondenz; aber nur vor meinen Augen sind, wie einem Hellseher, die in mir bleibenden Worte.

Dunkel sind wir wohl alle Hellseher, nur der rechte Schlaf geht uns hienieden ab und wären wir nicht die Saule, so gehörten wir zu den Propheten selber: diese setzen jene und jene diese V v oraus und diese Regel bedarf keiner Ausnahme.

"So wird dieses" "so muß jenes werden" sprechen wir, ohne uns selber klar und laut zu werden, täglich prophetisch aus und weniger für die Nähe als für die Weite und entferntere Zukunft verlautbaren wir uns diese Orakelsprüche.

Oft, sehr oft sind es blose Resultate, |2 die wir aus der Vergangenheit und Gegenwart ziehen; aber zur Ehre unserer geistigen Kraft, unsers natürlichen Hellblicks sei es gesagt, oft sehen wir blos V v orwärts wie ein Adam erwachsen aus der Schöpfung Hand kommend.

Aber kein Adam nach dem Talmud, der ihn mit einem Januskopf kommen läßt, den er mit seiner zweiten Hälfte theilte.

Die Talmudisten geben dem Kinde im Mutterleibe die Sehekraft in die ganze Vergangenheit und in die ganze Zukunft oder, nach dem wörtlichen Ausdruck: von einem Weltende zum in das andere.Am Eingang in die Kind s b ettstube oder am Ausgang seiner 9 monatlichen Weltwohnung, giebt ihm der Engel einen Schlag auf die Oberlippe, wovon der Unsterbliche zeitliche Vergeßenheit erhält.

Das Grübchen auf der Oberlippe ist das Zeichen, die physische Folge dieses Schlages.

|2 Diese ganze Ausschweifung soll Ihnen sagen, daß der Mensch so gern Fernegläser braucht, und die Nähe dieserwegen nicht sieht.Warum sah' ich nicht, warum wußt' ich nicht, das ist es eigentlich was ich sagen will, daß Sie mich an meinem jüngsten Bayreuther Tag noch einmal haben sehen, ja begleiten wollen?

War ich doch eben an diesem Tage glücklich, wie ich es lange nicht gewesen! Ja, mein Otto, ich hatte am 12ten eine recht schöne Stunde mit unserm Richter verlebt, der mir's so schön sagte, daß Ihr wieder alte Stunden, Ihr Alten, Du göttliches Zwei, zusammen verlebt habet und am 13ten verdoppelt' ich diese Stunde bei Ihnen und sehnte mich wieder auf Wochen mit mir selber aus.

Was Sie thun ist wohlgethan, aber Ihren Weiherern hätten Sie die Freude machen und am 23ten ihnen Amoene bringen sollen.Flora hat sich so sehr |4 darauf gefreut und Flora liebte Sie so sehr und so rein.

Wir sind in diesem Sommer abgehalten gewesen, Mehrere auf kurz zu sehen und, mein Otto, ohne Lohn. Doch mündlich mehr.

am 1ten Sept.

Täglich, hab' ich es denn nicht schon oft gesagt und bin ich denn nicht recht, recht aufrichtig? täglich könnten Sie mir beistehen und täglich bedarf ich Ihres Beistandes, mein Otto!

Die eiskalten Menschen wälzen, nicht Schneeballen, Lawinen von Lasten auf mich und ich glaube mein Schicksal thuts, beuge den Rücken und trage mit Liebe und Ergebung.Kommen Sie, mein Otto und überraschen Sie uns mit der Stunde.

In 16 Tagen sind wir wieder in Bayreuth.

Flora grüßt Sie und mit mir Amoene recht herzlich. Unser Kind hat schon 3 Zähnchen und ist gesund und ich bin und bleibe ewig, mein Otto, Dein treuer

OSmund

Zitierhinweis

Von Emanuel Osmund an Georg Christian Otto. Weiher, 30. August und 1. September 1818, Sonntag und Dienstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1354


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Textgrundlage

Hk: ehemals Slg. Apelt,
1 Dbl. 8°, 4 S.

Überlieferung

h: ehemals Slg. Apelt,
2 Bl. 8°, 3½ S., minimale Abweichungen.


Korrespondenz

B: Von Georg Christian Otto an Emanuel Osmund. Bayreuth, 17. August 1818