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B. 12 Jan. 21.

Mein innigstgeliebter Herder!

Von den vielen Briefen, die ich seit meinem jüngsten an Sie geschrieben habe, kam mir ein einziger aufs Papier u dieser soll noch nicht vor Ihr gutes Auge kommen.

Jedoch diese wenigen Zeilen sollen eher dieselben erreichen, als die Brust uns. Ottos die Ihrige.

Vorgestern brachte er einen Abend bei uns zu.

Morgen wird er wie sie wissen, auf Sie zu gehen und auf unsern Minister. Dieser reine Mensch verläßt sein Dachstübchen sehr schwer u reiset mit zu großer Schüchternheit auf den würdigsten der Minister zu.Sie; mit Ihrem eben so guten, als tiefsehendem Auge kennen dieses Wesen: Otto, genannt Georgius, ich brauche also nichts über dasselbe zu sagen, obgleich ich mir einbilde, daß kein Sterblicher es so genau kennt, wie ich es in einem Zeitraum v. mehr als ¼ Jahr100, wo ich dieses heilige, mein nennen kann, kennen gelernt habe.Aber eine Bitte aus meinem Herzen, aus einem Herzen, das es gut meint mit allen Menschen, wie keines mehr; das es gut meint mit Otto wie mit dem edlen Minister, der nach nach ihm seine wohlthätige Hand ausstreckt, um ihn an sich zu ziehen, eine Bitte an Ihr Herz erlauben Sie mir: Ziehen Sie nicht oder lassen Sie nicht ziehen, diesen unsern Otto aus seinem Dachstübchen, als nur mit der höchsten Vorsicht!Von guten, bedeutenden, Menschen, von unserm, bald auch seinem Minister erkannt zu |2 seyn, geachtet, geehrt und geliebt, ist ihm Alles, sein wenn sein freies Ich dabei bleiben kann – sein freies Ich.

Bei dem Bewußtseyn, nicht umsonst gelebt d.h. gearbeitet u genützt zu haben, würde diese eigene, seltene Wesen sich bei Erdäpfeln glücklicher fühlen, als bei einer Abhängigkeit im Überfluße der Lebensgenüße.

Der Freund kennt – er bildet es sich ein – den Freund genauer u besser u wünsch te t (ja schafte ihm einst schon) neben Anerkenntniß, Achtg., Verehrg. u Liebe auch unbeschränktes – Brod.Mir fällt hier eine kl. Geschichte ein, die für Sie u wenn Sie wollen, selbst für uns. edlen Minister dastehen mag.

Bei uns lebte der Ihnen, wahrscheinlich, durch s. Gemälde rühmlichst bekannte Maler Wunder .Dieser recht gute alte Mann hatte einen Canarinvogel , der neben ihm, wenn er vor seiner Staffelei saß, 28 Jahre lang, ihn mit seinem Gesang erquickte.Aus Dankbarkeit ließ der alte Mann seinem Liebling einen neuen, größern, besser eingerichteten Bauer bauen u räumte ihn ihm ein.

Am Tage darauf fand der alte Mann seinen Liebling u Sänger – in seinem neuen Bauer – todt.

Ich kannte beide. –––

Otto war nicht zu bewegen, eine bestimmte Summe zu verlangen, sondern er ließ mir diese über. Nach einigen Tagen – da er nicht nachgab – gab ich nach u ihm 300 f. gg Quittung.Zu seiner Zeit wünscht' ich diese nicht hier, sondern in München, b. meinen dortigen Freunden ersetzt zu bekommen.Geben Sie mir mehr Aufträge.

Am Dienstag Abends wird mein Geist zwischen den beiden Freunden seyn u in Liebe sie immer umgeben.

Ihr OSmd

Zitierhinweis

Von Emanuel Osmund an Emil von Herder. Bayreuth, 12. Januar 1821, Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1370


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Textgrundlage

H: GSA, 44/341a
1 Bl. 8°, 2 S.