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Bay. Mitw. 28t Oct. 1801.

Freundin! Nehmen S. diesen Namen v. mir an: ich verdiene diese Annahme für den Werth den ich darauf lege.Es ist lange, daß ich ein Maedgen nicht so angeredet habe; aber S. muß ich so anreden. Mein letzter Leipziger Abend , an dem ich b. Ihnen, zwischen einer heiligen drei Einigkeit saß: dem Vater mir gegen über, den Geist zu meiner Rechten u den Sohn zu meiner unbeladenen, zur Linken, u an dem ich so glücklich war, hab' ich noch immer vor mir u er soll mich oft wie ein Ableiter vom Blitze des Fehlens bewahren u beschützen; nie will, nie werd' ich ihn vergessen.

Der Sohn sag' ich saß mir zur Linken, das wurden Sie dadurch, daß S. Ihrer Frdin. Frd. zu seyn mir versicherten.

Ich habe eigentl. keine Erlaubniß Ihnen einen Brief zu schicken, sondern nur ein Blättgen fürs Stammbuch ; aber diesen kleinen Frachtbr. verzeihen S. mir schon und dieß um so schwerer, da ich mir einbilde, S. verüblen mir ihn nicht u haben also nichts als hoechstens diese überflüssigen Worte zu verzeihen.Danken will ich Ihrem würdigen Vater, durch S. für das was er mir wurde, ist u immer u ewig bleiben wird.

Umarmen S. ihn – ich bitte S., nicht Ihret- meinetwegen – für mich u danken S. ihm so kindlich wie Sie‘s – mit Ihrer Liebe koennen.Mit Ihrer Liebe, die Ihr Vater kennt, denn sie kommt v. ihm, u die Ihrige u die seinige ist die einzige, aechte Liebe.Aus diesem heiligen Funken, der im Herzen des Edlen glimmet, lodern alle Flammen der Tugend-Vater-Mutter-Bruder-Freundes-Kindes-Schwester-Gatten-Landesvaters-Vaterlands-Menschen u Thierliebe; daher haben S. u Ihre Mutter Freundinin unter Ihren Schwestern u dah. werdet Ihr Seltenen auch wieder so geliebt – wie es nur wenige u nur die Seltenen verdienen.

Es giebt also nur Eine Liebe d. i. u diese heißt: durch Vernunft geleitete Güte, u wo diese nicht ist, wird man v. all der obigen nichts finden; aber in dem Maas der vorhandenen Güte ist auch Liebe da.

Das gute Kind wird auch gewöhnlich ein guter Jüngling |2 Mann oder Weib, Vater oder Mutter u. s. w. u es ist Widerspruch zu sagen: dieser Mensch ist wohl ein guter Bruder; aber kein guter Sohn – das kann nicht seyn: er ist beides gleich.

Ich habe nie einen guten Juden gesehen ohne Christenliebe u nie einen guten Christen ohne Judenliebe.Daß ich in Ihrem Stammb. der Nachbar uns. Richters werden will – das wissen S.Nochmals Dank, Ihrem Vater, der sich mir gab, der mich mit seiner Liebe auf u annahm, der mir unvergeßliche Stunden gab, der mir Ihre gute Mutter – die ich innigst grüsse – u. S., Freundinn, finden, sehen ließ. Leben S. wohl u vergessen S. mich auch nie!

E.

"Alles hat seine Zeit": Reden u Schweigen haben die Ihr ihrige, Regeln – u ihre Ausnahmen dav. haben sie; Nichts in die Stammbücher schreiben u in sie schreiben hat seine Zeit!" "Alles hat seine Zeit." Nehmen uns die guten Menschen – wie es uns oft zu gehen pflegt b. ihnen – für zu gut: so ist's eine Zeit sich im allgemeinen b. ihnen zu tadeln u wir koennen, mit Recht, vollen Glauben u volles Zutrauen abwarten, ohne daß wir einzelne Beweise auf zu führen nöthig haben oder geben dürfen d. h. die guten Menschen müssen mirs aufs Wort glauben, wenn ich die Zeit sehe, in der ich ihnen sagen muß: ich bin weniger gut, als wofür ihr mich nehmet; es ist aber eine Zeit, sich im besondern im einzelnen zu loben u Bewei ß s e zu führen, wenn man uns für weniger gut hält, als man ist. oder In der Zeit der reinsten Unschuld, wo wir noch so gut sind, daß wir unsere Tugenden eben so gerne, als uns. Fehler laut werden lassen – sind uns beide Nichts; ist diese Zeit vorüber u nur dann verheimlichen die Guten ihre Tugenden weil sie nur noch gut – nicht mehr ganz unschuldig sind und nun schon glauben, die Tugend sei Etwas. "Alles hat s. Zeit"

Vergleichen S., Eigenthümerin dieser Worte sie mit denen meines mir ewig lieben Nachbarn u vereinigen S. sie, wie die Nachbarn u S. es sind. Lpzg. 12t Oct. 1

Em.

Zitierhinweis

Von Emanuel an Dorothea Weiße. Bayreuth, 28. Oktober 1801, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1415


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Textgrundlage

Hk: ehemals Slg. Apelt,
1 Bl., 2 S.


Korrespondenz

A: Von Dorothea und Christian Felix Weiße an Emanuel. Leipzig, 20. November 1801