Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



|1
hintereinander geschrieben
Paris 27 Aug. 1802 Ab.

Mein Emanuel! Heute und gestern war ich ungewöhnlich u. ohne vernünftige Ursache innerlichzukend-froh: Das hätt ich schon als Vorbedeutung nehmen können, daß ein Brief von Euch mein Singularis unterweges und nahe wär'.

Ich habe denselben noch nicht völlig ausgelesen aber ich hoffe leider fürchte Gottlob noch eher damit zu Stande zu kommen als dieser zu Ende ist.

Eins mußt Du gleich verzeihen, daß ich in diesem Breve oder Briefe noch keine nähere Nachricht von dem magisch problematischen Dorfe ertheile noch habe. Daß ich auch von Paris (wenn gleich "jemand eine Reise thut") nicht viel verzählen werde, kann ich mir schon selbst verzeihen – was ich bisher zu sagen hatte, habe ich einige mal gegeigt, und ich unterscheide mich mit soviel Vergnügen wie Du in etwas von den wiederkäuenden Säugthieren.

|2 Sonst fängt mirs jetzt an in Paris an zu gefallen: ich lebe noch ruhiger als in meinem vorigen Briefe , und sehe d.h. spreche fast keinen Menschen.

Sieh aber dennoch, auf den November etwa, der Carrière entgegen.

Es liegt, lieber Unzufriedner , nicht an meiner der bisherigen Unthätigkeit meiner Beine, aber allerdings meiner Zunge (die mault, von der hohen See der Conversation wegbleiben zu müßen) und an der größeren Vorbereitungs-Thätigkeit des ganzen Menschen zu Hause; das Bedürfniß fing an sich stark zu regen.

Indeßen sind mir die Theater fast zu einem geworden – es sind theure tägliche Schulen der Sittengeschichte u. der Sprache für mich.

Der Henker hols od. brings ich hab' aber unterdeßen Deinen Brief fertig gelesen und daraus ersehen, daß ich Dir, nicht mir, für die Mädchens Uhlfelder Manches kaufen muß, was man nachmalen und nachspielen kann. Du willst mir sogar eine Anweisung nach Paris schiken und ich soll Dir sagen wie viel ich will.

|3 Das kreuzt nun wie ein Corsar durch meinen Plan, welcher war, morgen od. übermorgen mit einer Gelegenheit – die ich jetzt vermutlich nur doppelt auf zum Antwortschreiben benutze – ein paar hübsche Gravures und mehrere petits airs geradezu an Mes Demoiselles Ouhlfelder à B. zu senden, nebst einem Briefe an Dich, den sie Dir bescheren sollten. – Für das letzte Imperfect sag ich noch nicht gut. Das erste aber hätte ich auch ohne Deinen Caperbrief noch einmal überlegt: Soll ich ihn um die Freude des Gebens bringen?

Nun gar seit dem Briefe, der die Frage so stellt: Soll ich ihn durch ein solches durch den Sinn [...] / umbringen? Du weist, was er auf persönliche – Ueberraschungen zu retorquiren pflegt und was ein Ueberrascher von ihm zu erwarten hat um nicht überrascht zu werden.

Nein im Ernst möcht ich Dir d.h. mir den Spas nicht verderben; Du könntest mich hinterher im Beichtstuhl leichter absolviren als ich mich – traue mir |4 zu, daß ich noch heute Gewißensbiße fühle, wenn ich mir vorhalte, wie ich in Rudolfs Garten Deiner Jungen / meinen Arm u. Gulden ins Conzert auf ge geben drungen um Dich bloß für die alte Hannoveranerin bezahlen ge zu laßen und daß ich so wie ich beiläufig zuweilen fluche, daß ich Deinem u. unserem treuen Kerl in Baireuth nicht 24 Xr. mehr gegeben, die ich Dich noch in meinem Namen ihm u mir zu schenken bitte. – Eben weil Du weniger foderst und zur Cäsion schweigst, vermehrst u. verfeinerst Du die Pflichten gegen Dich.

Ich gedenke demnach, bloß einen Pariser Geiger von Pappe und gegenwärtiges Schreiben, in das man ihn wikeln kann, dem Uhlfelderschen Haus ins Haus zu schiken – morgends Tages aber oder sobald ich einen Kunstverständigen habhaft werden kann, mit einem solchen (weil ich meiner Brille nicht trauen u. von der Zeichnung bei Kunstsachen noch weniger urtheilen darf wie als von der Farbe) zu einem Mann unter den Boulevards am Ausgang der Rue Grammont (also gar nicht weit von der Rue des Materialisten Helvetius Hotel de Bourgogne au coin de celle N. Augustin No.66. ) zu gehen u. ihm einige der wohlfeilsten Stüke so wie Musikalien abzuhandeln – im Fall ich sie wohlfeil genug erhalten kann, sie Dir zu kaufen aber durchaus keine Bezahlung dafür anzunehmen sondern Dir bloß die des theuren Transports zu überlaßen. – Ein billiges Honorar für den Drukbogen me E ines Briefes dürft' ich williger annehmen

|5 Rathe was mir mein Bruder vor 14 Tagen für einen Brief nachschikt, der an Ihro Des Herrn Thieroth ansehnlichen Kauf u Hdlsherrn Hochedlg. in Leipzig adreßirt, frankirt, schon einmal retour gegangen weil "kein Tieroth bekannt" endlich in Paris an s. Adreße gelangt ist. Inwendig auf dem Couvert steht bloß: "und sollte der Herrn Thieroth noch nicht zurück seyn von der Reise, so dürfen dieselben den Brief der an Ihnen gehört selbsten aufbrechen."

Der Brief aber heist so:

Herr Thieroth

Nehmen S es nicht ungitig, daß ich S mit m Schreiben belästige, da S mir weill S in Bareuth waren, ein paar Hosen versprochen haben, so wolt ich Ihnen nochmals gehorsamst drum bitten, meine Krankheit vor e halben Jahr hat mich sehr viell kost, da ich jetzt wieder eine lange Zeit brauche, bis ich mich wieder erhole, u. zumal bei den izigen Zeiten wo alles so theuer ist, alslo will ich Ihnen nochmals gehorsamst bitten laßen S meine Bitte nicht fehl schlagen, ich hätte es nicht gewagt S mit m Schreiben zu belästigen wenn ich nicht überzeugt wär daß m Bruder der Schanpaul Richter in Sachs Meinungen ein guter Freund von |6 Ihnen wär, und wenn S mich mit was beehren, so seyn S so gütig u schüken Sie mir es unfrankirt zu. Und ich verbleibe mit aller Hochachtung.

Ihr ganz ergewenster
Diener
Johann Adam Christian Richter
.
Badergesell.

den 11. Junii
Anno: 1802:
in Bareuth

Willst Du wohl bei Gelegenheit Deines Bartes ihm seinen mit der Nachricht streicheln, daß man seine Briefe gleich mehr als Jean Paulische in Paris excerpirt, u. daß er nicht bloß 22 sondern üb. 100 Meilen weit nach um Hosen gebettelt hat, die man ihm niemals versprochen. Aber die Geldbuße des doppelten Portos ist zu [...] hart.


Nimm meinem Bruder den Geschäftsstyl und die Unterlaßung (er kennt Deinen unmittelbaren Antheil an der Verstorbnen nicht) nicht übel . Nicht einmal seinen poetischen Styl über denselben Anlaß nehm' ich ihm übel, denn er weiß was er verliert, u. nur in der Geschwindigkeit mit der er schreibt, meint er es ehrlicher mit den Worten, als sie mit ihm. Aber besonders ehrlich meint ers mit seinen Geschwistern – er war nicht bloß der Mund in unsrer häuslichen Corporation, die er am schmerzlichsten vermißt – "Gräme Dich nicht zu sehr, sch reibt er mir ließt s. Brf u denke daß Du noch einen Bruder hast ders redlich meint u Dich lieb hat.

Und das ist wahr.


Dein Th.

|7
P.S. 29. Aug. früh
Zuletzt zu lesen. oder auch zuerst.

Seit vorgestern Ab., mein lieber Emanuel, sehen die Sachen ganz anders aus. Wir / Ich u. der Kunstverständige haben eingekauft (Nicht an der Rue Grammont, sondern am Louvre (s. den Plan)

  • 1. ein hölzernes Kästchen mit ausgesuchter schwarzer rother u weißer Kreide, "die man nirgends so findet" u einigem Zubehör. Tusche war nicht gut. Und Farben wußt' ich nicht ob man sie brauchen könnte. – Dafür, daß Du mir die Commißion nicht gegeben, zahlst Du 7tt 10 sous. So viel kostets nämlich.
  • 2. Die besten Gravüren von antiken, Raphaelischen u. da Vinci'schen Köpfen zum Kopiren. (Denn zum Henker weiß ich denn etwas weiter, als daß sie Köpfe u. zeichnet?) – Die allerbesten Grav Stich freilich u. noch ganze Gemälde des Museums gehen nach Louis. Aber durft' ich denn? – à quarante Sous. Für 15tt. Erlaube mir Dich dabei fast um einige sou francs zu betriegen, die ich mit sauerer u. hinterdrein bitterer Mühe abgemarchandirt – u. die mir wenig Segen bringen werden außer von Bettlern, denen ich sie ohnehin nach u nach schenken muß.
    NB der inwend. Ladstok, dieses stämmige Wikelkind wurde mit 20 kupfernen Sous aufgenommen u. das Seidenpapier mit einer Piece de 15 Sous.
  • 3. Eine Auswahl von Gesang zum Klavier, zu der ich wenig hinzuwüste, nebst 2 Ouvertüren fürs Klav. (die eine berühmte vom Jeune Henry mit od. ohne Violine, die ich ehestens bei Uhlefelders mitspielen will u. zu exerziren bitte – aber noch mehr das vielbeklatschte Husten-Duett aus Inganno felice für Uhlfelder u. Zierla, das man mir vorsingen will) Fürs Klav. allein habt ihr in Deutschland genug u. mehr. Für 28tt, wobei Du profitirst u. nicht ich.

No. 1. nimt die Gelegenheit mit – wie ich die andern fortschaffe weiß ich noch nicht . – Wenn Du mehr wolltest u. keinen geschiktern Commißionär hättest (welches leicht ist) so wäre die angewiesne Anweisung auf hies. Geld nicht abzuweisen.

Küße die Kinder Israel und den Bruder Israel, und den glüklicheren Otto (!) mit seiner Anemone, (deren Handschuh ich man auf den Händen trägt ) – und endlich Dein einziges Exemplar von Dir, der auch die une ist .

Und willst Du es nicht im Spiegel küßen, so sollst Du es doch in meinem Auge.

Thieriot


7. 10
15.
28: 20
–: 15
52 L. 5 S.
Zitierhinweis

Von Paul Emil Thieriot an Emanuel. Paris, 27. und 29. August 1802, Freitag und Sonntag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1448


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 1 Bl. 8°, 1 Bl. 4°, 7 S. Auf S. 8 Adr.: An Emanuel | eigenhändig.


Korrespondenz

B: Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 17. und 18. August 1802, Dienstag und Mittwoch
A: Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 22. September 1802, Mittwoch
A: Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 1. und 3. Oktober 1802, Freitag und Sonntag

Beantwortungsvermerk von Emanuels Hand über dem Brief. Am 22ten Sept. u 3 Oct. beantw. Der Brief enthält die Abschrift eines Briefes von Jean Pauls Bruder Johann Adam Christian Richter an Thieriot vom 11. Juni 1802.