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Paris 21. Dec. 1802

so daß dieses also wohl unser letzter Brief in diesem schönen Jahre seyn könnte.

Ich habe zu lange angestanden Deinen zu beantworten, zumal da ich Dich noch manches darüber zu fragen hatte.

"Es ist gewiß, daß sich m. U. ohne Neid u. ohne Forderung, ganz allein — hat" erneuet nur meine alte Verwunderung, ohne sie zu heben . Warum es "kein Mensch sonst wißen durfte, – daß Du und die neugeborne Emma Georgine Briefe bekommen" versteh' begreif' ich eben so wenig.

Der folg. Satz: "Da Du über das Rümpfen – – durch mich bekommen würde" enthält u. giebt einen beiderseitigen Mißverstand, wenn Du ihn nicht aufhellst.

Du hast, dächt ich gar nicht nöthig, bei Deinen Grundsätzen hierüber, Richtern Briefe an Dich zu zeigen, da Du keine an ihn zu sehen verlangst ! – Der Mein Brief-Quartant , den ich Dir u. Otto'n zu lesen aufgedrungen, ist kein Brief an Richter sondern ein scherzhafter Aufsatz für ihn u. seine u meine Freunde, woran kein ernsthaftes Wort ist, wenns nicht die satirischen Ausfälle auf mich sind; und die Liebe für Richter ist auch glaub ich nicht darin zu verkennen.

Aber auch nicht zu profanisiren durch die Mittheilung an Leute, die ihn ebenso lieben. Also hab' ihn "in Gottes namen" gelesen! –

|2 – Ueberdem verdient Richter das Glück gar nicht, in meine Correspondenz mit Dir zu guken. Es scheint, es er will überall "trinken, und – schweigen." Daß er nach Coburg ziehen werde, hat er mir so wenig geschrieben wie sonst etwas. Auch werde ich ich mich ebensowenig eilen ihm zu schreiben, daß mir das nicht gefällt, das Coburg, als ich mich überhaupt eilen werde.

Auch bei Schlegel bin ich hier ziemlich allein . Ich bin noch nicht ganz mit ihm versöhnt . Seine Frau (ich fragte sie mitten im Gespräch à la Arlequin : Ich soll Sie fragen, ob Sie eine geborne Mendelssohn sind , ist eine , u. auch seine Frau . – In sein Collegium geh ich, mehr um ihn zu obligiren als mich. – Ich meinte nur, daß in Paris ein schlechter gedehnter Vortrag in jeder fremden Sprache mehr unangenehmer auffiel, weil die Franzosen ihre so gut sprechen, zumal vom Katheder.

Mit den "einigen Jahren" ist es so wenig mein Ernst, wie mit den Filzschuhen für Dich.

Jetzt erst seh ich Dir ins Gesicht Emanuel, und wünsche Dir einen guten Morgen und ein gutes Jahr zum neuen Jahr, wo Du doch wohl erst diesen Brief kriegst. Du könntest mir dann immer auch etwas ähnliches für über-übermorgen |3 beschert haben, damit ich hier auch weiß daß Neujahr ist. – Und doch sollt' ich weniger daran denken, u. daß ich schon 1/2 Jahr hier in Paris bin, als Du, Du Ordentlicher, Geschäftiger; Reinlicher, gewiß auf diese Zeit in Deiner aufgeräumten Stube, zurücksehn darfst. Ich bin kam hier noch mit Nichts recht aufs Reine, ob ich gleich in Nichts eigentlich lüderlich geworden bin als in meinem Koffer und – leider – in meinem Schreibzeug. Die Besenstiele mit denen ich schreibe, werden meinem Stile selber nachtheilig.

Der 16. Dezemb. war der merkwürdigste Tag für meine hiesige Musik. Ich hörte erst den grösten Geiger, Rode, und dann ließ ich mich ins Conservatoire als – Eleve einschreiben. Dazu war eben an diesem Tage ein 1/4jährlicher Concours von angehenden Violinisten, weil man eine gewiße Stärke haben muß um in die geringste Claße aufgenommen zu werden. Mir war es aber nur um Eine (es giebt auch für die Violine mehrere Profeßoren) zu thun, die von Baillot, des einzigen intereßanten außer Rode – und zwar nicht für meine selbstgemachten u. bisherigen Sachen, mit denen ich wohl fertig bin, aber wohl für die Musik von Viotti, des Stifters dieser Schule, die natürlich allein die nöthige Tradizion für die Ausführung seiner herrlichen Sachen besitzt.

Nun war ich natürlich kein Schaf, das etwa mit Fleiß schlecht gespielt hätte beim Concurs, |4 um nur sicher unter die Eleves Hürde zu kommen – sondern ich war vielmehr eines, das sich gern bei dieser Gelegenheit ausgezeichnet hätte und den dasitzenden Areopag in Verwundrung und in Verlegenheit gesetzt. Nur muß ich selber in diesem Augenblik in einer kleinen gewesen seyn, weil es mir erst hinterher einfiel, was für herrlichen musikalischen Spas ich hätte treiben können, wenn ich z.B. mit der Skala angefangen aber dann mit Einsicht u. Leichtigkeit darüber fantasirt hätte. So spielt' ich nur ein Viertels-Rondo geschikt vom Blatt; denn da eine kleine Pause kam, sagte Mehul (der Componist der Ouverture du j. Henry) Ça suffit , und ließ mich näher an den Tisch treten und fing nebst Cherubini (der mich schon kannte) eine kl verdrießliche Inquisition, die nur dem Inquisirten schmeichelhaft war, darüber an, was ich hier wollte? Da ich nicht wie ein Eleve spielte pp. Kurz ich erhielt am Ende eine sehr ehrenwervolle Aufnahme – da ich mich als professeur allemand bekannt u. nur durch die Begierde Baillot zu hören zu diesem Schritte bewogen erklärt hatte – und mein Diplom vorgestern mit dem (obgleich mündlich von mir verbetenenen) Zusatze: pour entendre .

Närrisch soll Dir dieser Streich nur vorkommen, weil ich mich früher schon zu einem Concurs von Profeßoren, der aber nicht zu Stande kam, gemeldet hatte u. diesen Umstand zu erwähnen ich mich selber nicht geschämt habe.

|5 Die Brfe v. Meyer kenn' ich nicht .

Drey Monat bleib ich gewiß noch hier, [...] / wegen Baillot. – Rode reist nach Teutsch / Rußland.

Deine Regensburger sind närrisches Volk .

Ich lebe jetzt hier fast so ökonomisch wie in Leipzig. Mein Tisch kostet mich gewöhnlich nur 20 sous (in den ersten Monaten immer gegen 3 francs.) aber das Frühstük oft mehr.

von 8 – 9 Uhr

Ein köstliches dunkelblaues Feierkleid (ich denke Du hast auch eins) nebst schwarzseidnen Hosen hab ich mir fertigen laßen – damit ichs anziehn kann, wenn wir zum General gehn.

Französisch verlern' ich hier ganz. Es wird einem so bequem gemacht, für einen als Etranger zu paßiren, (die Etrangers haben in vielen Stüken sogar Vortheile vor den Einheimischen, z.B. täglich Entree auf das Museum) so daß man sich gar keine Mühe giebt, gut zu sprechen, da man sich immer verständlich machen k u. einem leisen Ridicule doch niemals entgehen kann.

Einen längeren Brief kannst Du vom kürzesten Tage nicht billig prätendiren. Obwohl es schon längste Nacht ist.

Gute Nacht, Emanuel! Alter!

Thieriot

Zitierhinweis

Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Paris, 21. Dezember 1802, Dienstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1459


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. u. 1 Bl. 4°, 5 S. Auf S. 6 Siegel, Postzeichen und Adresse: Monsieur Emanuel | Baireuth | en Franconie | Allemagne.


Korrespondenz

B: Von Emanuel an Paul Emilie Thieriot. Bayreuth, 28. November 1802, Sonntag (4. Abt., Bd. IV, Nr.13-k)
A: Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 31. Dezember 1802 bis 2. Januar 1803, Freitag bis Sonntag

Über dem Brief Präsentat und Beantwortungsvermerk von Emanuels Hand: 2. Jan. 3. beantw.