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Offenbach 27. Okt.
1805.

Emanuel!Wer müßte Dir nicht folgen, wenn Du sprichst?

Ich folge, schon weil ich Dir gerufen habe.

Ich folge, ob Du gleich nicht selber gesehen hast.

Mein Schwanken u. Kranken muß ich glauben einsehn , auch nach den Briefen, die ich an Dich – zerriß. – Und hatt ich nicht die ganze Zeit 2 nicht zusammengehende Richtungen: sie zu entlieben / leiben (sie auf Andre u. Andres zu richten) u. – mich zu verlieben (an Ihr Aeußeres zu ge / [...]wöhnen, u ihr wunderbares Selbst immer mehr zu kennen.) Sie zum Mann zu machen u. mich zum Weib.

Daß in mir noch tausend Gedanken umhergehn, dass das ist nicht was ich rühmen will.

Erst: Richter hat sein altes Ur-Unrecht. – Nicht weil Du zuweilen ein Gleichniß machst, bist Du mir lieb, werther als lieb, Lieber: sondern weil Du mir bist ein Gleichniß des Einen.Es giebt Ideen, |2 die Richter schöne Gleichniße nennt, und ich wahre Gleichungen, (wie 1 = 1) die mir heiliges Land sind, und ich untersuche nicht woher u. warum. So Alles Erste – die runde Gestalt – das Beweglichste, das Licht – das Maaß, (die Ordnung), was damit jenem zusammenhängt, was z. B. jede Sonne sich selbst giebt.

Solch eine Idee bist Du mir; – einbeständig offnes / lebendiges Auge für solche Ideen nun findet u. ahnet mein unterbrochen offnes an dieser Eva.Ich liebe sie wie der Lehrling den Meister, wie meine Muse, wie die Wegweiserin zu den Ideen.Durch mich – mehr durch das was ich ihr zuführe – lernt sie sich beßer aussprechen und ihren jungfräulichen Scheu vor dem Ausdruk als wäre dieser anderes Geschlechtes als die Empfindung – überwinden

indem ich dies letztere schreibe, seh ich daß ich daran nichts gutes that, – obgleich wieder mit der guten Absicht, die Guten zusammenzuführen, und dieser alleingelaßenen Guten Merkworte in den Mund zu geben, woran sie noch von beßeren als wir gesunden werde. – Göthe . –

|3 Aber bei alledem was sollen hier die Körper und die Geschlechter zwischen 2 nur zu ihrer Selbstbildung verbündeten Wesen?

Und dann – denk ich wieder – wenn zwischen unter 2 solchen Eines unrein wird d. h. war – so mag es doch zu Grunde gehen! und das Böse an dem Guten sich scheiden (erproben) und davon scheiden (sterben)

– Noch denk dacht ich: Was ist es denn für ein e großes Opfer, einem Mädchen seinen Namen zu geben u damit e. beßeres bürgerliches Daseyn zu verschaffen, u. sich für des die Ernährung deßelben zu verpflichten – wenn man sich doch auch ohne das verpflichtet hält das letzte Eigenthum mit Ihr (als der Verdientesten) zu theilen. –

Aber darüber hast Du leicht mehr gedacht – das seh ich ein.

– Endlich: Mit keiner Miene hab ich ihrer Person Wärme geheuchelt, sondern umgekehrt leider auf ihre letzten Erklärungen kältere selbst der Freundin Kälte – das ist eines von den wenigen Wesen, gegen die ich noch ganz aufrichtig seyn konnte – und darum glaub ich, liebte sie mich auch. – Daß ich sie nicht lieben kann wie sie meint hab ich ihr also deutlicher als mit Worten gesagt.Hat denn die Jungfrau keine Stärke? – Und wenn sie sich jetzt Alles unter Einem Bilde sehen muß, Ein Bild lieben – so ist das ihr Schiksal. Ja sie ist darin glüklich u. das Bild soll davon nicht unglüklich seyn. Dies schrieb der Teufel.

– Kurz ich merke daß ich fast in Allem Einzelnen Recht habe – nur nicht in der Summe.

Dein guter Rath, Deine Thatlehre, Mein – !, möge immer beßeres Land bei mir finden so wie ich Dir in dieser Sache folge.Aber ein "Mann" werd ich selber werden müßen.

Du "weißt zu schätzen" das weiß ich. O Du weißt zu ehren, Du weißt zu schonen, B Du! und ich habe Dich auch mit Thränen lieb.

28.ten

Ich muß Dir sagen, wie ich Deinen Brief bekam: Gestern Abend, auf dem Wege in eine öde Spiel- und Schmaußgesellschaft, aus der ich erst um 11 fortlaufen konnte, wieder zu Deinem Brief, und an diesen, bis in die Nachmitternacht.

"Vernimm und folge – nach Einsicht handle" sagst Du. Habe Geduld, wenn ich noch nicht recht vernehme und noch nicht recht einsehe. Aber das fühl' ich und verdamm' es, daß ich unmännlich schwanke, und ich suche mich an das zu halten, was ich feststehen fühle und wovon ich, daß es mich sieht sehr [...] glaube – an Dich!

Wo [...] w er Gott nicht weiß: der glaube an Gott. – Aber auch dis Wißen ist nicht weise wenn es nicht lebendig ist. (Jetzt schrieb ich das am Rand auf der zweiten Seite.) D. 4ten zieh ich nach Aschaffenburg. Bis dahin versprech ich Dir sofest / ruhig zu seyn als ich mit Wahrhaftigkeit seyn kann. Lebe froh indeß und allzeit.

Thieriot

Indem ich dies Gestrige überlese: wird mir alles klar. Jenes sindGötzen / Schiffbruchsbretter, wie ich sie nehme und noch brauche. Der wahre Gott ist der lebendig e - erkannte in der Freude, in der Liebe, im warmen Leben – Richter hat tief Recht. – Du weißts!

Zitierhinweis

Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Offenbach, 27. und 28. Oktober 1805, Sonntag und Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1624


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Textgrundlage

H: ehemals Slg. Apelt,
1 Dbl. 8°, 4 S.

Überlieferung

Hk: BJK, Berlin V, 138
1 Bl. 8°, ⅔ S. (nur Auszüge; zusammen mit anderen Stellen aus weiteren Briefen an Emanuel, eingelegt zwischen S. 8 und 9 von Heft 2 des Briefkopierbuchs der Briefe Thieriots an Emanuel).

h: BJK, Berlin V, 138
Briefkopierbuch der Briefe Thieriots an Emanuel, H. 2, S. [6]–[8] (unvollständig).

D: Abend-Zeitung, Nr. 17, 20. Januar 1843, Sp. 131–133 (mit geringfügigen Abweichungen).


Korrespondenz

B: Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 22. Oktober 1805
A: Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 11. und 13. November 1805

Präsentat: Am 13t Nov. beantw. – Als Einlage in Thieriots Brief vom 28. Oktober 1805 mitgeschickt.