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A. 7. Nov. 5

Für Emanuel

In der Musik bin ich soweit gekommen daß ich nicht mehr das Materielle der Noten achte u beachte sondern den Rhythmus, den Akzent, den Charakter, den Geist.

In der Poesie, im Lesen der Poeten kam ich bei manchen auch dahin. Warum noch nicht im Leben, u. im Liebelesen?

Laß mich heute nur Fragen thun?

Darf ich Dir noch von der Hofmann schreiben, d. h. von der Mignon (Du lasest ja 2 mal Meisters Lehrjahre) der Iphigenie (die Du lesen wirst) dem innern Göthe, Deiner und meiner Braut, wenn es nach wahrer Tugend geht, und nicht nach dem plumpen Spaß Nenninger, dem Einzigen, was mir ihr Alter sagte? – Nur die Magerkeit ihres Körpers war mir auffallend – Was soll denn, nach Dir, den Mann zuerst zum Weibe führen als Verehrung und Mitleid?

Wenn daßelbe zu schwache nicht ihn wie mich, von ihm führt –?

Göttlich – ich bestätige mich nur – will diese geliebt seyn.

|2 Hast Du den Plan den Du mit mir hattest nicht mit allem Guten 1, und brauch ich Dir dieses Gesunde zu empfehlen?

Ich habe – das fühl' ich eben deutlich u. klar – kein Recht, ferner Dich hier hineinzuziehn: aber auch keines Dich zu schonen über das was geschehen.

Lies hier was mir die H. den Tag nach meinem unbesonnenen Sturm- Trennungsversuch ("Ich wär Ihr Teufel wenn ich bliebe" Sie: O ich glaube Ihr wärt etwas ganz anderes) gleich nach hinter Deinem Briefe an sie (den "sie sich gelobt hätte nur in der höchsten Noth mir zu zeigen") über den Tisch reichte – ich blieb gewiß vernünftig u. ruhig auch auf Ihr Blatt, u. verglich wieder Deinen Brief, konnte aber durchaus nichts mehr dran drin finden, als Du schon zweimal mir seinen Gehalt beschrieben, sagt' |3 es ihr auch, zeigt' ihr daß es hieße: "Dieser Tag soll ihm durch diese pp Liebesbriefe zum Freudentag werden durch Sie." u. gleich darauf diese Besorgung unterstrichen, kurz wie Alles hierin [...] ganz prosaisch gemeint sey. Aber selbst Deine Briefstellen an mich über diesen Brief, die ich sie lesen ließ, konnten ihre festschöne Ansicht nicht ändern. – Wodurch ich dazu beigetragen? Sicher dadurch daß ich früher vor Ihr unbekümmert ganz war u sprach, über Alles u. so über Dich, aber nie bis dahin durch eine mitgetheilte Zeile (außer aus dem Kopfe einmal zu einem Beispiel den alten Schluß: und behalt mich halt immer recht lieb.) Aber sie ist in ihrem ruhigen Seyn selber zu viel Du, u. s. w.

Mit jenen Briefstellen von Dir, am vorletzten Abend, ließ ich sie lesen: von "Werde nicht u. mache nicht unglüklich – bis od. gar zu nehmen" in Deinem letzten Briefe, und vergaß nur gar auf der letzten Seite: "Ich mein' es mit der Hofm. pp"

Auf die Worte: für deßen Liebe Du kälter bist pp deutet' ich ihr. "Wie viel Arten giebt es denn" sagte sie. Das ist geschehn.

|4 Sonst will ich mir immer die Lehren merken: "Freunde dürfen Geheimniße vor einander haben: sie sind einander doch kein Geheimniß." Und: "Wer keine Himmelsthür an sich zu öffnen hat, der laße das Höllenthor zu."

Willst Du Ideen von mir lesen?

Soll ich die Eugenie schiken und die 2 Carolin dabei?

Soll ich mich selber schiken?

Befiehl ganz, Du der mich befehlen laßen wolltest. Diene mir, mich dienen lehrend und so befehlen.Gieb mir um Gotteswillen Aufträge.

Ich vernehme jetzt Deine Antwort: Kannst Du Dich ehrlich nähren, Dich einem Lebensplane näher leben, nicht bei Tag u. nicht bei Lichte schlafen, in Aschffbg: so bleib noch – und ich kann noch bleiben. aber laß mich Deine Stimme vernehmen, mein EmanuelDeinen Thieriot

Grüße mir

gelesen u. abgeschikt d. 21. Dez. 5.

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1Nein, nur mit dem Nächsten und was Gott in Deinen Kreis führt.
Zitierhinweis

Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Aschaffenburg, 7. November 1805, Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1630


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Textgrundlage

H: ehemals Slg. Apelt,
1 Dbl. 8°, 4 S.

Überlieferung

h: BJK, Berlin V, 138
Briefkopierbuch der Briefe Thieriots an Emanuel, H. 2, S. [13] (unvollständig). Darunter von Woringens Hand: "(Asch. 13. Nov. 5 – enth. daß Th. daselbst Stunden gab.)"


Korrespondenz

B: Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 22. Oktober 1805

Abgeschickt am 21. Dezember 1805 mit Thieriots Brief vom 20. Dezember; Präsentat: 29t Dec. 4 u 1t Jan 6 beantw.