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Bayreuth, 25 Apr. 1808.

Mein alter Thieriot!

Eben als ich mir von Richter meine iüngsten Blätter von Dir , um sie beantworten zu können, holen ließ, schickt' er mir noch iüngere mit dazu.

Ich habe also Alles, auch Evas duftende Blätter alle.

Um eine Antwort ist Dir wol eigentlich nicht so viel, als um das Wissen, daß Alles in meinen Händen; dennoch will ich Alles noch einmal jetzt lesen und sollt' ich etwas darinn finden das ich nicht billige – beim ersten mal lesen fand ich so etwas nicht – so will ich etwas darauf antworten.

Die Hofmann spricht von Porto, ich will auch davon sprechen.

Wenn Du fro. Nbg machst: so wird immer fro. Dünkelspiel daraus gemacht; bezahlst Du nur bis D.spiel: so ist es gut; nicht: so laß Dir das Spiel nicht gefallen.

|2 Was geht Dich denn die zum Abgrund eilende Moralität an? Die läuft Dir ia augenblicklich immer mehr davon? Willst Du ihr Steckbriefe nach schicken?

Und was kann ein Mensch aufhalten?

Ich könnte mich ordentlich über Dich aufhalten, weil Du Dich so viel über andere aufhaltest.In Deinen Jahren hab' ich auch geglaubt, ein Mensch, oder so gar ich, müßte sich unten am Berge, unter dem ein Fluß lief, stellen, um zu verhindern, daß des Nachbars Mühlstein nicht ins Wasser fällt, oder um ihn "aufzuhalten".

Aber die Buben rollten einen Stein nach dem andern auf den armen Aufhalter und er wäre längst nicht mehr wäre Gott selbst nicht sein Aufhalter so oft gewesen.

Da ich Dich kenne, Du guter Mensch, und Du mich: so hab' ich es nicht nöthig, zu fürchten, von Dir mißverstanden zu werden, wenn ich sage: Laß die Menschen thun was sie wollen nur Einen nicht – Dich.

|3 Dein jetziges Menschenfliehen schon, fliehe; denn Du bist mir lieber als 1000 Menschen die Du fliehest und dennoch rette unter ihnen, nicht von den Menschen Dich.

Ja, ia, mein Thieriot, Du sollst nicht thun, was man von Dir verlangt; aber verlangen solltest Du von Dir, zu thun, was Dein Freund Bruder von Dir verlanget.

Mit Dir meinen's viele Menschen recht gut und viele, die es gut meinen und zusammentreffen, solltest Du doch nicht ganz verwerfen.

Mein Herz blutet mir, wenn ich Dein rein edles denke, ohne es in Freude schwimmen zu wissen.

Recht gerne käm' ich zu Dir, wärest Du nur nicht so weit von mir.

Unterdessen schreib mir Deine Fragen bald, damit ich Dir keine Antwort schuldig zu bleiben brauche.

Ist denn Deines Bruders Brief nicht ein himmlischer Bruderbrief? Sag!

Wo ich hingehen will, dazu hab' ich noch keinen Plan; aber wo ich weg gehen will.

|4 Jedes deutsche Waßer an dessen Quelle oder Fluß ich mit der Zeit sitzen kann und ruhen, ist mir lieb, wenn nur ein deutsches Herz neben meinem schlägt und eine deutsche Hand mir die Augen zudrücken kann.

Schön ist es, Gott für Alles also auch für Schwäche ihn zu preisen; schön ist es also, einzusehen seine Schwäche – schöner noch ist es und göttliche Kraft zeigend, abzulegen diese Schwäche und dann Gott zu preisen für seinen Beistand und seine Kraft.

Deine Bouteille Neckarwein war gut; aber noch besser Dein Danziger Most .

Aber für beides Herz' und küß' ich Dich, so wie ich Dich für jedes Blättlein, deren Du mir viel gegeben, preise.

So machst Du einem wieder Lese- und Schreibelust.Dein Wohlgefallen an Eigenthümlichkeiten, gerade das Deine, ist es, was mir nicht so wohl gefällt, so sehr ich auch Eigenthum, eignes Thun, eignes Schaffen, Erfinden zu ehren verstehe.Fühl' ich mich denn nicht geehrt mit Deiner eigenthümlichen Liebe?

Dein Emanuel

Zitierhinweis

Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 25. April 1808, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1677


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin V, 138
1 Dbl. 8°, 4 S.

Überlieferung

Hk: ehemals Slg. Apelt,
1 Dbl. 8°, 3¾ S.

D: Abend-Zeitung, Nr. 38, 14. Februar 1843, Sp. 300 (unvollständig, mit geringfügigen Abweichungen).


Korrespondenz

B: Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Stuttgart, März (?) 1808
B: Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Stuttgart, 6. April 1808

In Emanuels Brief an Wangenheim vom selben Tag eingeschlossen.