Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



|1
Yverdon 7. Juni 8.

(Im Eingange daß Em. Eva nach Yverd. begleiten [...])

Es muß Eva versorgt werden, nach ihrer Kraft u nach ihren Wunsch. Eva muß würdig begleitet hier eintreten können. Das kann ich ihr nicht geben.

Mit Pestalozzi stehe ich so, daß alles Uebrige zu ihrem Hiereintritt (bis auf den Kaffe früh) vorbereitet ist u. noch durch mich bereitet werden kann. Die musikalische Lehrerstelle ist so gut wie erledigt und die Lehrmethode so gut wie frei gegeben dem der kommt u es besser weiß u es schicklich von sich giebt. Die Berichtigung dieses Theils wird als etwas Dringendes gefühlt von Pestalozzi, noch nicht so von seinem Auge u. Arm, Schmidt. Kraft wird entwickelt, u Tag ist bald. Kuß! Und Dauer!

Yverdin 18 Juni 8.

Em. gestehn doch lieber als länger verschweigen will ichs Dir, daß ich über die 5te Woche hier bin ohne meine Sachen, ohne Erwerb, ohne bestimmt Amt.

Pestalozzi – denke Dir ihn, es ist ein guter Mann wie Richter, Brand für Recht u. selig in seiner Sache – frappirt von meinem Dareinkommen (ich bat staubig und müd um Suppe, Erlaubniß für Morgen in die Claßen zu kommen u wollte mit meinem Namen etc nichts zu thun haben) wie ein gewißer Jean Paul am ersten Abend; mir, wie ich Dir erzählt, den Besuch erwiedernd u. mit Krüsi kommend an nämlichen Tage (sonst wär' ich wenigstens am nemlichsten Abend nicht wiedergekommen) – nahm mich seitdem öfter, wenn ich ins Schloß (Institut) kam, an Arm und führte mich bald im Hof bald durch das finstere Treppchen im Garten herum – fragte mich u sagte mir gleich am folgenden Morgen früh eh ich zum Lernen ging: "Worin sind Sie stark? – Das glaubt man nicht, das weiß man – Kraft, Ruhe und Fleiß." – Kam noch denselben Vormittag an meine Schiefertafel u unterbrach den Griffel mit seinem Vergnügen u seinem Fragen: freut euch das? – an einem andern Morgen: ich mein', ihr verliert eure Zeit mit den kindischen Sachen – ließ mich dann, daß ich es noch einige Zeit versuchte – "– oder ob das Geigen auch besser ist" – und: wann hört man euch geigen, Und: wann man hört man Sie geigen? Und bat mich ihrem Musikunterricht, weil er es bedürfe, zu helfen, und mit Knuser zu sprechen. Und damit bracht' er mich auf 15 Tage vom Schloß. Denn ich besprach mich mit Knuser die Nacht, und sein letztes Wort das mir Ansicht gab, als ging sein und seines Lehrers und ihr Streben nicht auf etwas in der Musik gründen, sondern fertige Choristen Treffer der vorhandenen werthesten Musik hervorzubilden, brachte zum Versäumen der ersten Morgenstunde u. damit zum Ausbleiben. Krüsi kam am andern Abend nach mir zu suchen u. ich konnte ihm zwar sagen, daß ich für sie gearbeitet und meinen Gang Pestalozzi vorlegen wollte (ich ging meinen Ideen nach und brachte einen wie man es nennen könnte religiösen Elementarweg im Musikunterricht zu Papier) aber ich war im Essen u. Schlafen wie im Denken unmäßig gewesen u. vor allem im Sitzen.

Ich bins noch, mein lieber Briefmann, u. will mich gleich durch stehendschreiben, und Dich unterbrechen: Für heiligere Leute als ich bin wird durch Betreiben Vieles unheilig betrieben und für heiligere will ich einmal leben oder nicht. Die Fortsetzung ist: ich konnte mein Geschrieben- und am Tag Gedachtes in der Tasche lange Abende nicht los werden, ich zerfiel am Ende selbst damit, das Gefundene ging frühreif aus dem Munde, ich führte Reden mit Pestalozzi, der Mann wird getäuscht – entzückt –

Und worauf geht alles mein in Empfindung Bedachtes hinaus? Daß häuslich Alles möglich ist, daß Vater und Mutter die jedes nicht aus ihrem Kreise gekommen, das Richtigste beitragen, daß das enge Kind einst in seinem Land und Haus vollkommner dastehe – und mein lieber Emanuel ich gäbe gerne was mir den letzten Abend an seine m n Stuhl mich rufend Pestalozzi, als ich gegeigt hatte, sollst Du stiller Geiger

Vergrabt euch nicht, vergrabt euch nicht, sterbt nicht eh ihr todt seyd

hören.

Zitierhinweis

Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Yverdon, 7. und 18. Juni 1808, Dienstag und Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1681


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage

h: BJK, Berlin V, 138
Briefkopierbuch der Briefe Thieriots an Emanuel, H. 3, S. [1]–[4].


Korrespondenz

A: Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 19. Juli 1808

Zur Datierung: Dass der Brief in dieser Zeitspanne geschrieben wurde, geht aus Emanuels Brief an Thieriot vom 19. Juli 1808 hervor.