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Heidelb. d. 3 Aug. 1817.
Sei ja vorsichtig mit diesem Briefe, wer ihn lesen mag, daß davon nichts auf irgend einem Wege des Zufalls in eine Tageszeitung gerathe.

Wenn ich einen frohen Tag gehabt habe, muß ich ihn noch mal in einem Briefe durchleben; darum seze ich mich in der kühlen Morgenstunde – es schlägt grade fünf – vor das offene Fenster, Dir mein bester Abraham, zu schreiben, redselig und durcheinander, wie ichs gewohnt bin. Da aber unsern Truchseß, was ich zu sagen haben, eben so sehr angeht, als Dich, ja in gewissem Sinne noch mehr, schick' ich ihm den Brief erst zu; denn wer kann dergleichen doppelt schreiben, oder gar abschreiben? Hättest Du es für möglich gehalten, daß in der Zeit, wo Jean Paul all unsre Herzen gefangen hält, ein Mensch herkommen könnte, der und, wie er, nur auf andre Art, mit Ehrfurcht und Liebe erfüllen könnte? Ich nicht; und doch ist es so. Als ich vorgestern in der gewohnten Stunde zu Emilie Heins kam, schrien mir die Kinder entgegen: Hr. von Dörnberg ist da!, Ja, unsre Mutter hat vollkommen Recht in dem, was sie über diesen Mann schreibt, und ich bitte Dich, die Stelle gelegentlich Truchseß mitzutheilen. Ich mußte seine Händ, als er sie mir reichte, und die meinige mit soldatischer Kraft drückte, voll Ehrfurcht küssen, ich konnte nicht anders. Ich weiß Dir aber gar nicht zu sagen, wie der Mann aussieht. Sage ich, er ist das Ebenbild seines Uniko, und zwar in solchem Grade, daß wenn Uniko, seit er von hier ist, in sein 49tes Jahr hätte springen könn te en , ich ihn für Uniko selbst gehalten hätte; sag' ich, was Ludwig von Truchseß, er sieht ganz anders aus, als andre Menschen; – das alles ist wenig, ist nichts gesagt: es ist in seinem Wesen eine solche Fürstlichkeit; eine solche Stattlichkeit, eine solche Biederkeit, daß ichs in Wort nicht zu kleiden weiß. Man kann ihn Stundenlang ansehn, und wird nicht satt an seinem Bilde. O wie Recht hat unsre Mutter, die Thräne ziert dies schöne Gesicht; und wer von uns hat |2 diese Thräne nicht gesehn, da Dörnberg in jedem ihm dem Namen nach bekannten Heidelberger seinen Wohlthäter seiner Frau, und seiner Kinder zu sehn glaubt? Er ist jezt fort, kommt aber in 3 bis 4 Wochen auf längre Zeit wieder, und in den zwei Tagen hat ihn keiner sprechen hören, als was Bezug auf seine Frau und seine Kinder hat. Er ist diesmal bloß gekommen, um der Confirmation seiner beiden Töchter beizuwohnen. Die Frau scheint mir ausnehmend gewonnen zu haben; ich fand keine Spur von Hochmut in ihr, die ich nach dem ehemaligen Prunken mit Noth und Unglück erwartet hatte; ich fand sie herzlich und theilnehmend. Nach Dir erkundigte sie sich angelegentlich, und er mischte sich hinein, und sagt Dir den herzlichsten Dank, für Deine Bemühungen um seine Frau und Uniko; wärst Du zugegen gewesen, Du hättest diesen Dank mit Kuß und Händedruck inniger empfangen, als ich ihn Dir zu überbringen weiß. Über Tisch, wo außer dem geschwäzigen Dietenberger kaum einer zu Worte kam, hörte ich mit einemmal den Namen Truchseß nennen, und Dörnberg fügte hinzu, daß er ihn besuchen wolle. "Welchen Truchseß?" fragte ich hastig. – "Den Herrn von Truchseß auf der Bettenburg. Ist der Ihnen bekannt?" – Nun war an mir die Reihe zu reden; und Dietenberger hatte zu thun, bis er wieder einhaken konnte. Was ich alles gesagt, werd' ich mich hüten in einem Briefe zu erzählen, den Truchseß lesen wird. Aber das soll er wissen, daß Dörnberg mich wegen dieses Freundes recht in Ehren hält. Ob beide sich persönlich kennen, weiß ich nicht; ich vergaß darnach zu fragen; aber ich zweifle nicht; denn der nicht gesehne Freund erregt schwerlich solche Theilnahme und Liebe, als ich in Dörnbergs Worten fand. Da wir gestern den folgenden Tag Jean Paul zu Ehren einen akademischen Schmaus hatten haben solten , dachte ich sogleich: "an dem muß Dörnberg auch theilnehmen". |3 Aber wie das einzurichten? Ich konnte ihn als meinen Gast laden, und seiner Freundlichkeit nach wäre er gern gefolgt. Aber ich erschrak vor dem Gedanken; er enthielt ein hohes Maß von Unbescheidenheit, wo nicht das höchste. Ich ging also zum Prorektor Zachariä, und bat ihn um die Vollmacht, den Mann in seinem Namen, d. h. im Namen der Universität, einladen zu dürfen. Zachariä, ein bedenklicher Kauz, und obendrein gegenwärtig kränklich, machte große Schwierigkeit, sprach von Freiheitsmännern, die in Karlsruh einem verdächtig wären, so wie auch Jean Paul schon bei einigen oben als einer angesehn werde, der mit den Teutonisten zusammensteckte; und was weiß ich alles. Ich sagte ihm aber, Dörnberg wäre in Heidelberg, nicht als politische Person, sondern als Mensch, als Vater, Gatte, Freund, und sezte ihm so zu, daß er mir endlich die Erlaubnis gab, seinen Namen zu gebrauchen wie ich wollte. Nun schrieb ich ein Billet an Dörnberg, und abends 10 Uhr, als ich mit Jean Paul von Munck zurückkam, fand ich folgende Antwort:

"So eben komme ich von einem herlichen Spaziergange und finde Ihre freundschaftliche Einladung, theuerster Herr Professor, und bitte Sie, dem Hrn Prorector zu sagen, wie sehr ich mich durch sein a A nerbieten geehrt fühle, das ich mit dem gröst h e n Dank annehme. – Möchte ich denn doch im Stande sein, Ihnen allen meinen herzlichsten innigsten Dank auszudrücken zu können für den Schuz, den sie meiner armen zur Zeit der Noth angedeihen ließen. Mit der aufrichtigsten Ihr D."

Er war auf seinem Spazirgange auch in unsrem Hause gewesen, und hatte sich überall umgesehn. – Ich bat nun gestern Morgen Zachariä, er möchte doch ja Dörnberg einen Ehrenplaz geben, und da ward ausgemacht: Jean Paul sollte dem Prorektor zur Rechten sizen, Dörnberg zur l L inken, und neben Dörnberg der |4 Major von Beulwitz, Dörnbergs ehemaliger Heidelberg d. 3 Augustsehr geschäzter Waffengefährt. – Den Morgen um 10 Uhr [...] [...] hatte ich Muncke und Tiedemann eingeladen, Jean Paul arbeiten zu sehn, und zwar auf ganz eigene Manier. Täglich von 8 – 1 Uhr sizt er vor dem Oberhäuschen der Müllerei und schreibt. Nun pflanzen wir den Dollondschen Tubus auf, der ihn so prächtig herbei holt, daß wir alle Mienen des Dichters genau sehn können. Wir lachten herzlich darüber, daß Jean Paul nicht einmal ahnete, welche Zeugen seiner dichterischen Einsamkeit er hätte. Es rührte sich was in seiner Nähe; er sah etwas ungehalten aus, ward aber gleich wieder heiter, da e r s ein paar hübsche Mädchen sah waren , die ihm einen Morgengruß und ein paar Rosen brachten. Kaum waren die vorübergezogen, als ein paar Filister kamen, das Wunderthier auch einmal zu sehn. Jean Paul sah grimmig aus wie ein Bär, grüßte aber doch. Noch anderthalb Minuten lang behielt er das Bärengesicht und schrieb immer fort – es muß ein recht bärenhafter Gedanke in sein Manuskript gekommen sein –, dann ward er wieder heiter. Um 12 packte er ein, und ich ging zu ihm, ihm zu sagen, nicht Ich, wie verabredet war, würde ihn zum Essen abholen, sondern der Prorektor selbst, den ich darum gebeten hatte, weil ich Dörnberg abholen mußte. Ich erzählte Jean Paul, man habe seinen Hund irgendwo eingehascht und ihm allerlei Haare abgeschnitten und davon nach Mannheim geschickt. "Gehts denn mir besser?" antwortete er, und zeigte mir nun, wie viel Locken ihm fehlten, und wie alle Symmetrie auf dem Kopf gestört sei. "Das muß der liebe Gott", sagte er, "in Baireut wieder in Ordnung bringen, wo sie mich ungeschoren lassen". Als ich zu Emilie kam, fand ich alles in seltener Rührung. Sie waren eben aus der Kirche gekommen, wo Abegg eine vortrefliche Confirmationsrede soll gehalten haben. Hätt' ich gewußt, daß die Kinder öffentlich confirmirt |5 werden sollten, ich wäre gewiß zugegen gewesen; so aber mochte ich mich nicht aufdrängen. Ich war eine kurze Zeit bei Emilie allein, Dörnberg sprach noch mit seinen Kindern im Nebenzimmer. Bald kam er, und so innig bewegt, daß er fast nichts zu sagen wußte. Wir gingen schweigend bis etwa zur lutherischen Kirche neben einander. Da ergrif er mit Heftigkeit meine Hand und sagte: "ich fühle es wohl, ein Mann sollte Herr sein über seine Empfindungen; aber diesmal stürmt zu vieles auf mich ein, das ich nicht bezwingen kann. Sagen Sie’s der Gesellschaft, warum ich grade heute ein stummer Gast sein muß." – "Ich hätte", fügte er hinzu, "lieber nicht in die Gesellschaft gehen sollen; und doch mußt' ich; ich [...] habe ja eben dadurch Gelegenheit noch vielen meine innig gefühlte Dankbarkeit zu bezeugen." – Er war in Civilkleidung, und der Umstand schien bei vielen ein großes Vertraun auf ihn zu erregen. Der Prorector übernahm es Jean Paul mit der Gesellschaft bekannt zu machen; ich machte die Präsentationen bei Dörnberg. Der Prorector hatte die Artigkeit gehabt, mir den nächsten Plaz beim Herrn von Beulwiz anzuweisen, und da der Tisch grade hier eine Ecke machte, konnte mir kein Wort entgehn, das von Jean Paul u. Dörnberg gesprochen ward, und auch ich, der ich diesmal auch große Lust und Zeit hatte zum Sprechen, konnte von beiden gehört werden. Es war ein herliches Gastmahl, und zwei so edle Gäste machten, daß es weit geräuschloser war als sonst, auch daß wir weit früher aufstanden, worüber der Wirt am wenigsten zufrieden gewesen sein mag. Auch der Stadtdirector und Carl von Wamboldt waren diesmal nicht so ausgelassen. Man merkte sichtbar, daß nicht Freude am Essen, sondern die Freude an zwei Kernmännern die Gäste versammelt hatte. Daß Jean Paul und Dörnberg sich gewaltig näherten, versteht sich wohl von selbst. Immer hatten sie die Hände in einander, oder |6 küßten sich hinter des Prorectors Rücken. Als der Prorector, nach Leipziger Sitte Jean Pauls Gesundheit lateinisch mit dem deutschen Schluß Lebe hoch! ausgebracht hatte, trat der Stadtdirector auf, und brachte Dörnbergs Gesundheit aus, bescheiden und feierlich. Als der Tusch verhallt war, stand Dörnberg auf, und redete die ganze Gesellschaft an in seiner männlichen klaren Feldherrnstimme: – "mein armes Weib", sagte er unter andern, "meine lieben Kinder waren landflüchtig; hier in Heidelberg haben sie Schuz und Trost gefunden. Jezt, da Gott uns wieder vereint hat, ist es einer meiner seligsten Augenblicke, daß ich unter meinen Wohlthätern stehn und ihnen aus Herzensgrunde Dank sagen kann." Die ganze einfach schöne Anrede sprach er mit solcher Festigkeit des Tons, und doch zugleich sichtbarer Bewegung, daß kein Auge trocken blieb. Jean Paul war auf eine sonderbare Weise ergriffen; und er knüpfte halb lachend, halb weinend einen ganz herlichen Erguß an zum Lobe Heidelbergs; aber ich würde alles verderben, wenn ich auch nur den versuch machte, Dir wiederzugeben, was er sagte. So, lieber Abraham, endigte sich der schöne Tag; um 5 Uhr ging Dörnberg fort, und ich sagte, auf seine Bitte der Gesellschaft, warum so früh; um 6 Uhr war auch Jean Paul verschwunden, weil irgendwo eine kleine Festlichkeit für ihn veranstaltet war. Nun mochte ich auch nicht länger bleiben. Ich macht noch einen schönen Spazirgang am Neckar, sah die Sonne des schönen Tages untergehn, und ging im eigentlichsten Sinn des Wortes vergnügt und geistig |7 gestärkt nach Hause, wo ich bei meiner Abendfriedenspfeife noch einmal alles überdachte, und dann nach Hause zu Bette ging. Mein lezter Gedanke war: warum hat die gute herliche Mutter nicht zugegen sein können?

So weit kam ich gestern, als mich die Arbeit foderte. Daß wegen Jean Paul etwas weniger gearbeitet wird, als wohl sollte, ist wahr; aber solcher Verkehr ist auch Arbeit, und der Mensch gewinnt dabei geistig. Leider heißt es nun bald: "Die schönen Tage in Aranjuez sind nun vorüber" . Aber noch haben wir den theuren Mann in unsrer Mitte; und nach der ersten Trennung erfolgt ein Wiedersehn von vielleicht 6 Tagen. Jean Paul nehmlich reist nach Mannheim, und Mainz, und kommt dann nach Heidelberg zurück.

So eben erhalt' ich einen langen Brief von Truchseß , aber noch nicht Antwort auf meinen Mordbrief , der nun wohl in Deinen Händen sein wird. – Um den gestrigen Faden wieder anzuknüpfen: Hr. von Dörnberg kommt also auf die Bettenburg, und Truchseß wird jubeln über diesen Besuch. Lieber Abraham, auch Dir geb' ich entfernte Hofnung; denn Dörnberg sagte: Gewiß träfe er die Eltern irgendwo auf der Reise; und ich fühlte es, wie lebhaft er das wünschte. Ich weiß noch nichts bestimmtes über seinen Reiseplan, aber sollte ihn nicht der Weg durch eure Gegenden führen, nicht gar durch Rudolstadt selbst? Ich werde Dir zu seiner Zeit alles melden, und einige Meilen wirst Du nicht scheun, wird auch die Schule Dir erlauben; und dann nimst Du Göttling mit, dem ich die Bekanntschaft auch von Herzen gönne. Jean Paul sprach gestern Nachmittag über den herlichen Mann, herlich, wie sich versteht – aber wer kann das alles Wiederberichten? Noch eine Freude hat Dörnberg gestern Morgen genossen. Als er in Handschuchsheim ankommt, um 6 Uhr morgens, |8 findet er das ganze Institut da, Emilie und ihre Schwester Elisa mit Hulda an der Spize. Er soll gar herzlich gedankt haben. Emilie machte sich Vorwürfe, daß sie mirs nicht angezeigt hätte; was mir insofern Freude macht, als ich daraus sehe, wie sie mich zur Familie zählt. – Daß Dörneberg beim Schmause gewesen, hat, wie mir Schwarz gestern sagte, die lebhafteste Freude gemacht. Auch die Filister, die gegenwärtig waren, sollen gesagt haben, es wäre ein treflicher Gedanke gewesen, den Mann einzuladen. – Die Dörnberg will in der Folge gern bei Emilie wohnen; aber es geht nicht, obgleich Emilie alles aufbietet, um nur ihn im Hause zu haben. –

Morgen, lieber Abraham, erwart' ich mit Zuversicht einen neuen Brief von der Mutter. – Da kommt der liebe Jean Paul, und seine erste freundliche Frage ist: "Hast einen neuen Brief von der Mutter?" Nun will er meinen Brief an Dich lesen, oder vielmehr er liest ihn schon. – Da brummt er, er muß bei einer Stelle sein, wo ich in lobe. Die vierte Seite aber darf er nicht lesen. Daher der Strich, und die Einbiegung. Nachher liest er weiter fort. Du siehst wenigstens daraus, daß dieser Brief bloß Wahrheit enthält, wenn ich auch sonst schon manchmal Wahrheit und Dichtung possenhaft vermenge.

Jean Paul bittet mich, einen freundlichen Gruß von ihm an Dich hinzuzufügen. Nun wollten wir zu den Mamsell Harschern , die gar nicht länger warten können, bis der große Mann ihrem Hause Heil geschehen läßt. Die Stickerin ist bescheidener in ihrem Gespräch. Die Brückenbauerin, von Deinem kleinen Heinrich Schokoladentante genannt, wird übersprudeln von Gefühlen und Gedanken; und was sonst noch sprudeln wird, wird die Zeit lehren.

Grüße verstehn sich von selbst.

Dein treuer
Heinrich.

Zitierhinweis

Von Heinrich Voß an Abraham Voß. Heidelberg, 3. und 4. August 1817, Sonntag und Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1688


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Textgrundlage

H: BSB, Vossiana, 46
2 Dbl. 8°, 8 S.

Überlieferung

D: Persönlichkeit, S. 185–186, Nr. 218 (unvollständig).