Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



|1 Sei vorsichtig mit diesem Briefe, lieber Abrah., und wer ihn etwa liest, früh oder spät. Es ist ein Privatbrief.
Heidelberg d. 16 August 1817

Schon gestern dankte ich Dir in Truchseß Briefe für Deinen Brief ; es war aber gar zu eilig; denn jener Brief mußte geschlossen werden, als ich mit dem Briefe der lieben Mutter bei den guten Freunden die Runde gemacht hatte, und zugleich ging auch dieser mit dem Deinigen, den ich noch schnell etwas fortsezte, an Bruder Hans ab. Wie wird der sich freuen! Daß in Eutin alles so köstlich steht, wie herlich! aber ich erwartete es grade so, wie Du aus frühern Briefen weißt, und nicht anders; und Du auch, wie ich aus Deinem Brief an Hans sehe, und ohnehin wußte. Der Brief unserer Mutter ist ganz köstlich. Dieser Unzusammenhang in den einzelnen Säzen, das ewige Gestörthwerden, die Freude über liebe Störungen, die allemal den unvollendeten Perioden nachfolgt, diese Unruhe und Bewegung, und doch Ruhe dabei; all dies macht mir das eutinische Leben und Treiben weit lebendiger, als es die feurigste und umständlichste Beredsamkeit vermocht hätte. Ist es doch eine ganz herliche Mutter, Du lieber Bruder! Und Gott erhalte sie uns lange noch. Daß nicht bloß die alten Freunde in Eutin solche Treue zeigen, sondern auch der spätre Anwachs, ist wohl schier in der Ordnung. Wer hat je die Mutter gesehn, ohne sie zu lieben? Und das bei Alt und Jung, von der Mutter Hedäus an bis zu kleinen Sofie Schmitz im Institut! Du weißt, wie die liebe Mutter verlassen stand, als die Heise sie verlies; denn Emilie Heins war und ist zu beschäftigt, um sie oft zu sehn, und die übrigen Fraun, bei aller Bravheit, paßten doch nicht ganz zu ihrer ihr , und zur eigentlichen Vertraulichkeit kam es mit keiner. Nun ist das anders. An der Hofräthin Tiedemann, der Gensler, der Welcker hat sie wahre Freundinnen gefunden, die freilich die Heise nicht ersezen, – kein Mensch ersezt den andern, – aber, auf ihre Weise eben eine jede, eben so brav sind, als die Heise. |2 Als einmal die Rede war von einer Gesellschafterin, wenn die Mutt. krank werden sollte, rief die gute Gensler so recht aus grundehrlichem Herzen dazwischen: "Ach! das haben Sie nicht [...] nöthig. Träte der Fall ein, das lassen sich Ihre Freundinnen gar nicht nehmen, Sie zu verpflegen!" Ich machte gestern Abend, mit dem Brief im Herzen, einen einsamen, langen schönen Spaziergang auf der Mannheimer Ebene. Nur Eutin war mein Gedanke. Der Empfang bei Kindern und Enkeln vor dem Eschenschen Hause , nachher die Besuche bei Helwags, das Herzströmen von Besuchenden, der Spazirgang im Garten, durch die Scheune, wo wir Kinder so oft als Knaben spielten, an den See, wo ich ehemals meine Barsche, Plieten und Reddogen angelte, auch wohl Krebse fing; alles, alles erwachte, und das liebe Eutin mit all den schönen Umgebungen von Seen, Wäldern, Gärten stand lebendig vor mir. Das sind Augenblicke, wo mans innig und heiß wünscht, nicht an Raum und zeit gebunden zu sein. Ich bin ohnehin, seit der Herzog hier war, eutinisch aufgeregt, und mehr bedurfte es nicht, als diesen Brief, um mich in Feuer und Flamme zu sezen, Wärst doch Du nur bei mir gewesen, oder ich bei Dir, denn mit wem konnte ich hier darüber reden, so recht ins Einzelne hinein mich vertiefen? mit unserm Bewußten ? Das wäre doch wohl ein arger Verrath gewesen, und mein Dank dafür ein Stich ins Herz mit einem Judaskusse. Der darf mir nicht nahe [...]kommen, wiewohl ich nie aufhören werde, ihm aus der Ferne Gefälligkeiten oder Höflichkeiten zu erweisen, wie ich sie jedem Eutiner, der mich darum anspricht, erweisen will. Daran läßt ers auch gegen mich nicht fehlen, wenn der Neid und die Ruhe – Du weißt, worauf ich anspiele – einmal seinem besseren Selbst auf Minuten oder Stunden weicht. Auf mich hat er neulich gestichelt, daß ich mich zum Fürsten von Oldenburg gedrängt; – aus sicherer Hand weiß ich das; – "seine Art sei das gar nicht; auch in Eutin |3 habe er den Fürsten nicht zu besuchen gewagt". – Wenn darin die Bescheidenheit besteht, so antworte ich mit Göthe: "Nur die Lumpe sind bescheiden." – Ja wohl hätte ich mich zum Fürsten gedrängt, wenn er mi ch r nicht durch Einladung zuvor gekommen wäre, und mein Abraham auch, und mein Abraham hätte doch nicht die Bescheidenheit verlezt. Der Fürst hat mich, wie Herr von Gall mir ins Ohr flüsterte, "den braven Sohn seines braven Vaters" genannt; und mit Freude schreib ich Dir das, so wie ichs neulich mit Freude meinem Jean Paul nach Mainz schrieb. Von des Fürsten Freundlichkeit gegen mich muß was zu Ohren gekommen sein, und das sezt ihn in Harnisch, weil ers als Triumf meiner über sich in den Augen seiner Familie ansieht. Wie schlecht kennt er mich da! Aber alles Edle muß ihn anwidern. Über Dörnberg und Jean Paul spottet er; sie hätten über dem Essen als Gesundheit dummes Zeug geschwazt. Was der erste gesagt, habe ich Dir in einem früheren Briefe mitgetheilt. Und nun bitt' ich Dich, was soll man thun, bei solch einer moralischen Verstocktheit! Ich weiß, Du, der Du die Dörnbergsche Familie kennst, wiewohl nicht ihr edles Haupt, ich weiß, Du bist innerlich bewegt worden über diese Seelenworte, und ein heißer Dank von Dir ist schon unterwegs für die Mittheilung. Hab' ich doch nichts sehnlicher gewünscht, als daß unsre Mutter zugegen sein möchte. Sie hätte innerlich geweint, wie wir alle. Von Jean Paul will ich gar nicht reden: Schon daß ich ihn liebe, ist Grund ihn zu hassen für den Neider, der mir vor etwa 13. Jahren schwarz auf weiß abfo derte dern wollte, ich sollte ihn allein lieben, und keinen außer ihn. Aber sollt' nicht aller Neid, alle Rache, sich in Liebe lösen in der Gegenwart jedoch eines Mannes, dessen größte Tugend eben die ist, daß er Schlechtes und Unedles aus seiner Nähe bannt? Neulich packte mich unser Freund auf der Gasse an, und fragte, ob ich keine Nachricht von Jean Paul hätte. Ich sagte, ich wüßte gar nichts, und lenkte schnell ab, aus Furcht, eine Pille zu hören bekommen . Als er nochmals einlenkte, fragte ich ihn, ob er Briefe von Eutin hätte, und bat ihn, mir davon mitzutheilen, wenns meine Eltern beträfe. Da sprachen wir über die Eltern noch ein paar Worte, ich entschuldigte mich mit Eile, und ging schnell in eine Neben straße gasse hinein. Genug von ihm, und nur allzuviel!

|4 Als ich an das Vivat kam, ward ich ganz wild vor Freude. Der ehrliche Steffens an der Spize! Ob wohl ein Carmento dabei war? Das war sonst Eutiner Sitte, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Als Graf Stolberg nach seiner schweren Krankheit aus Petersburg zurükkam, brachten ihm die Bürger ein ähnliches Vivat, und ich sechzehn- oder siebzehnjähriger dichtete das Carmen dazu. Ich fühlte mich nicht wenig ergeben, als ich auf einen großen Tisch stieg, und den sämtlichen im Rathzimmer versammleten Bürgern das Gedicht mit einem furchtbaren Pathos vortrug. Dann kamen Senator Eckermann u. Schlachter Meyer, dankten mir im Namen der andern, und gaben laute Einwilligung zum Druck. Aber, aber, wie gings den folgenden Tag? Die Censur kommt in die Druckerei, und findet folgendes:

Nicht solltest du im rauhen, kalten Norden,
dort unter Rußlands ungeschlachten Horden
Uns durch den Tod entrissen sein.

Das müsse geändert werden, sagte der Censor, denn der russische Minister werde es übel nehmen. Nun war Holland in Noth. Ich ging fast verzweifelnd im Schloßgarten umher, wohl hundertmal klopfte ich an den Kopf. Hatte ich einen Gedanken, so war kein Reim da, stieß ich auf ein köstliches Reimpaar, so fehlte der Gedanke. Endlich erfreute mich die Muse mit folgendem:

Nicht solltest du im fernen Russenlande,
das ewig starrt in kaltem Schneegewande, etc.

Du weißt noch wohl, wie ich mit in der Reihe war, und zwar vorn an, das Gedicht auf einem atlassenen Katzenküßchen tragend, das Anna genäht hatte. Als unsre Eltern, die gerade verreist waren, zurückkamen, schämte ich mich meines Musendienstes, und war nicht zu bewegen, das Gedicht vorzuzeigen. Jezt gäb' ich 12 Kreuzer darum, wenn ich das Stumperwerk noch besäße. Sieh, lieber Abraham, auch dies kantirte ich durch auf meinem Spaziergange, und die schönen Zusammenkünfte im Bienenkorbe, wo wir Schokolade tranken, und dabei Virgil und Shakspeare lasen, und dem guten Iden die Exercitien der Stolbergschen Kinder corrigiren halfen, und dann die herlichen Spaziergänge nach Sielbeck, Stendorf, Malent, und auch den Bitinerwald, dessen Kreuz- und Querwege mir noch jezt frisch in der Erinnrung liegen. Sollten die Eltern nicht wenigstens nach Sielbeck hingekommen sein? und warst Du auch nicht da vor zwei Jahren?

|5 Daß die der Truchseßsche Mordbrief Freud machen würde, das wußt ich, mein bester Abraham. Aber warte nur, Du kennst erst die eine Hälfte. Die andre mit dem Dörnbergschen Anhängsel wird Dir noch lieber sein. Ja wohl, wenn Du den theuren Mann erst persönlich kenntest! Aber Geduld nur, das muß sich alles nach Wunsch fügen! Und wo das Schicksal nicht allein ausreicht; da kommen wir zu Hülfe. Jean Paul hat Menschen und Familien in Berührung gebracht, die sich sonst kaum sahen, [...] zumal z. B. mich mit den drei Paulus. Ich fühle mich glücklich bei Mutter und Tochter, und selbst für den Alten fang' ich an eine Art von Liebe zu gewinnen. Du weißt, daß ich sonst kein Freund von ihm war, und Du noch weniger. Du solltest ihn jezt mal sehen: alles macht er mit, und die Frau erzählte mir neulich mit Jubel, er würde wieder ganz freundlich und leutselig im Umgang. So will er morgen auch mit nach Mannheim, Jean Paul einzuholen: Wie das werden soll, weiß ich nicht. Jean Paul will eine Oper hören, kann also vor 10 Uhr nicht an die Rückreise denken; Paulus dagegen muß zur Bürgerstunde schon zu Hause sein, seiner Gesundheit wegen. Ich muß daran arbeiten, daß Paulus zu Hause bleibt, und seine Stelle soll die [...] K. Räthin Schwarz einnehmen. – Was? Die Frau von Lammzahn soll ein Produkt meiner Fantasie? sein? Wollte Gott, sie wärs, dann wär' eine Kokette weniger in der Welt! Nein, sie ist ein lebendiges, leider nur gar zu lebendiges Wesen, eine fidele Schwester, die gewiß einmal zu beten anfängt, wenn die Schminke nicht mehr hinreicht, die Jugend zu vertreten. Jean Paul weiß davon nachzusagen, sie hat ihm beim Abschied auf der Gasse einen furchtbaren Kuß mit recht furchbarer Gewalt einen Kuß gestolen, den er schmerzlich vermißt, und doch nicht wiederholen will. Noch zehnmal lieber wär' es ihr gewesen, wenn Er ihr zehn gestolen hätte. Sie will auch Jean Paul partout zum Thee bei sich haben. Aber nicht so, mein Frauchen, Bombardire mich wie du willst mit Billetten und Anfragungen; er kommt nicht, wie ich Dir rund erklärt habe; und willst du ihn sehen und umhalsen, so thu es in Träumen, Tags oder Nachts, so oft Du willst. |6 Frau von Ende ist eine Ehrenfrau, ganz das Widerspiel von der Frau Lammzahn, und dabei geistreich, gebildet, lebhaft und angenehm im Umgange, etwas mehr Franzosenfreundin als sein sollte, aber nicht beschwerlich damit, religiös bis zum Aberglauben, vom besten Herzen. Sie hat eine entfernte Ähnlichkeit mit der Schwendler, steht aber höher. Wenn ich auch nichts von ihr wüßte, als daß sie Jean Paul so lieb hat, und zwar ohne Affectation, so wär' ich ihr gut, und einige Lächerlichkeiten und Auffallene Seiten übersieht man gern ubi plara – nitent bona. Sie ist aus mütterlicher Liebe ihrem wackeren Sohn gefolgt, kümmert sich indeß gar nicht um seine Studentenangelegenheiten. Ihre Güter, glaub' ich, liegen bei Dresden, und sie muß reich sein. Als ich ihr die erste Nachricht brachte, Jean Paul werde kommen, sprang sie vor Freude in die Höhe, und wäre mir bald um den Hals gefallen, [...] welches letztere [...] ich aus ihrem eignen Munde weiß; denn sie hats zweimal in Gesellschaft erzählt. –

Da schickte die Paulus zu mir. Alles fand ich verstimmt. Die Tochter hatte vor 4-5 Tagen heftige Zahnschmerzen. Um Morgen recht sicher mitfahren zu können, läßt sie sich gestern einen Zahn ausziehen; und nun – ist ihr die Backe so geschwollen, daß sie wohl morgen das Haus hüten muß. Auch die Mutter hat Zahnschmerzen. Ich habe jezt eine andre Partie zu Stande gebracht, in welcher wir die Oper ungestört, und ohne zu stören, aushören können. ein Brief an Jean Paul ist so eben abgegangen; und ich seze mich hin, den an Dich fortzusezen, der heute noch auf die Post soll. – Treibe nur immer etwas Mutwillen mit der kothurngetragenen Frau von Beulwitz, mach' es nur nicht zu arg. Sie ist eine wahrhaft lächerliche Creatur, sie spricht Göttersprache, (wie Armado in loves labour lost), und stolpert von Einem Geschäft ins andere. Recht gelächert hat mich, was nach Abakus Erzählung Deine edle Fürstin gesagt haben soll: "wenn ein Gelehrter, oder sonst ausgezeichneter Mann H an den Hof käme, |7 sei ohne Frau v. B. nur der halbe Genuß; diese gebe durch ihre komischen, und queren, und hochtrabenden Fragen die Kehrseite und die scherzhafte Würze." Und die Frau hat einen so gediegenen und tüchtigen Bruder, den sogenannten Meininger Hilarius. Als ich das leztemal bei ihr war, ging sie hinaus, und brachte eine ungeheure Apfelsine mit. Wie freute ich mich da! Denn daß sie für mich sei ei ne wäre, bezweifelte ich nicht, und ich dachte schon wie der kleine Johann Heinrich – küß den Prachtjungen in des Onkels Namen – springen würde, wenn ich sie ihm in die Händchen drückte. Aber nicht so! Die Frau prunkt nicht bloß mit Gefallen, sondern auch mit Apfelsinen. All ihre Schwindelreden und Nebeleien hab' ich ihr längst verziehen, diesen Apfelsinenspaß nie! – Zu grüßen brauchst Du sie nicht, den Mann grüße desto herzlicher. – Geh doch gelegentlich bei Frau von Gleichen vor, und sag' ihr, die Briefe von ihrem Mann erhalte sie gewiß, wenn auch erst in den Ferien. Der Frau bin ich sehr gut; sie trauert still und tief über den Tod des seltenen Mannes . Schreib mir doch, was sie macht, und die Knaben Wie freut es mich, daß ich ihn noch zu Truchseß gebracht, und wie oft hat mir schon Truchseß dafür gedankt! – Da kommen die engelschen und Tiedemannschen Kinder: Ich gebe jedem ein Bilderbuch, wie voriges Jahr dem kleinen Joh. Heinrich, und schreibe fort. – "Gieb mr von den Kirschen", sagt der kleine Justus T., und kuckt mich mit seinem schönen Gesichtchen so freundlich an. – "Heute nicht, ihr guten Kinder". – Aber nun betteln sie alle drei, und ich muß schon mit ihnen in den Garten gehn. – Die Buben haben doch nichts bekommen. Unten frag' ich sie, ob sie mit Erlaubnis der Eltern da seien. Sie schweigen. Endlich sagt Justus: "Nein, Herr Voß, wir sind heimlich weggelaufen." Da schick' ich sie unter Aufsicht zu Hause. Du siehst, lieber Abraham, ich versteh' auch ein wenig von Pädagogik, und es wird noch besser kommen, wenn ich erst eine Frau habe, wie es Jean Paul von mir verlangt. – Ich werd' alle Augenblick gestört, durch Pedellen, die mich des Katalogs wegen besuchen. Aber Gottlob! um 12 Uhr ists gethan.

d. 18. Jul.

Es war mir nicht möglich, den Brief gestern zu vollenden, und wie sehr Lust |8 ich hatte, diesmal noch fortzuplaudern, kannst Du aus dem dünnen Papier, und der feingespizten Feder, und den engen Zeilen sehen. Nun geht der Brief am Donnerstag ab. – Um 1 Uhr stieg ich zu Wagen mit, Jettchen Schwarz, ihrer Mutter, einem jenaischen Doctor, und dem Erzieher des jungen Prinzen von Waldeck , einem treflichen Menschen, der nicht schlechter Dichter ist. Wir sprachen unterwegs unermeßlich viel von Jean Paul, und von Seckenheim an sangen wir Studentenlieder. Kaum waren wir im Schaf abgestiegen, so kam auch Jean Paul mit Baron Ungar-Sternberg. Ein Wagen [...] mit vier Studenten war auch angelangt, die sich zu uns gesellten, der große Dichter Thorbecke, der phlegmatische Maler des Entsezens, zwei Herrn v. Wangenheim, tüchtige Kerle, feurig wie ihr Vatter in Stuttgart , nur nicht so lodernd, und ein noch ein feiner junger Mensch, den ich zum erstenmale sah. Es war nicht möglich, Jean Paul auch nur Ein Glas Rüdersheimer beizubringen; wir andern tranken ein paar Gläser. Jean Paul erzählte mir, endlich sei der kleine Sternberg geboren, zu dem er schon vor 14 Tagen zu Gevatter war gebeten worden. Ich wollte, Du hättest mit angehört, wie er mit aller Kraft der Beredsamkeit und des sprechenden Händespiels den Wunderjungen schilderte, seine Größe, Derbheit, Schönheit, Genialität; nur die Nase müsse noch vollkommener hervortreten. Solche einen Jungen und zwar mit einem tüchtigen Adlernäschen, wünsche ich Dir auch, und hoffentlich hast Du ihn jezt ; oder ihr Eheleutchen müßt euch verwünscht verrechnet haben, da er schon vor einer Woche erwartet ward. Heute Nachmittag will ich weiter schreiben, und jezt zu Jean Paul. Den bitt' ich, daß er auf den übrigen Raum dieser Seite einen Gruß für Dich hinseze; und Du sollst sehen, er schlägts nicht ab.

Freilich nicht, antwort' ich (den 19 Aug.) der letzten Zeile, die allein ich blos gelesen. Und wie sollt' ich von zwei Brüdern, die einander so lieben, nicht auch den unsichtbaren lieben und grüßen, da ich dem sichtbaren das Du des Herzens gegeben? So sei denn der ungesehene achtend u liebend gegrüßt und er erscheine mir auch einmal! –

D Dr. Jean Paul Fr. Richter

|9 Ich schreibe fort, während [...] das zweite Stück des Briefs bei Jean Paul lieg en t , recht mit Freude "Ja!" sagte, und sein "Das versteht sich!" so allerliebst hinzufügte, als ich ihn um einen Zusaz an den lieben Abraham bat. – Bis um fünf Uhr saßen wir fröhlich zusammen; dann gingen wir zu Vincentis, deren große Loge für Jean Paul, und alle, die seinethalb nachkommen würden, vom Theaterintendanten eingerichtet war. Jean Paul und ich bekamen den vordersten Plaz, was ich mir gerne gefallen ließ, da Jean Paul so musikalisch ist, und ich erwarten durfte, manches Wort der Belehrung aus seinem Munde zu hören. Ich nahm Jettchen Schwarz zur Rechten, Jean Paul die Mutter zur Linken, und die Übrigen standen und saßen hinter uns, wie Kavaliere. Man hatte die Vestale von Spontini Jean Paul zu Ehren einstudirt, und die Schauspieler und Schauspielerinnen thaten ihr Möglichstes. Die Oper gehört zu den vorzüglichern, und die Musik soll höchst vollendet sein. Ich versteh' es nicht, aber lange hat mich nichts so ergriffen, wozu wohl Jean Pauls Nähe nicht wenig beitrug, dessen Empfindung in mich überging. Der ist bei so etwas ganz Kind der Natur, aufgeregt wie ein Meer im Sturm, und dann ist Arm, Hand, Fuß, jede Fingerspize bei ihm in Bewegung. Ich sah, wie ihm Thränen aus den Augen stürzten, wie sich Wange und Stirn bald zum Lächeln erheiterten, bald in den finstersten Ernst sich falteten. Und nun in den Zwischenakten, wie sprudelte er von Beredsamkeit, und immer hastiger sprach er, und immer heftiger, und dabei keine Spur von Krampfhaftem! Ich mußte des Wilden gedenken, der vor dem Wasserfall niederkniet, und die Gottheit anbetet. Wie hat er uns das Bedeutsame einzelner Stellen entwickelt, und uns auf kühne Übergänge aufmerksam gemacht! Er wußte an einer Stelle das musikalische Grausen Einer der erschütterndsten Szenen, mit einem Grausen – nachzuschildern, das wahrhaft Grausen erweckte! – Und nun am Ende des Stücks? – – "Lieber Bruder", sagte er mit seiner freundlichen Stimme, "erlaube mir eins, und mach' auch daß die Schwarz es erlaubt und die andern; laß mich die Nacht |10 noch dableiben. Morgen früh will mich Unger-Sternberg euch nachbringen." (Darum hatte ihn Sternberg dringend gebeten, in einem der Zwischenakte) "Thut ihrs aber nicht gern, nun so fahr' ich mit euch." Sage selbst, lieber Abraham, eine große Freude ward uns dadurch benommen; aber diesem Mann, – wer konnte es abschlagen? wer überhaupt einem, der so freundlich bittet, und so freundlich bittet, weil er nicht anders kann, weil alles an ihm Liebe und Freundlichkeit ist? Glaube aber ja nicht aus dieser Äußerung, daß er ein Stück von Allmannsfreund sei, wie Fouqué leider sein soll, was sich mir immer mehr bestätigt. Nein, Richter ist einer der feinsten Menschenkenner, und wo er Schlechtigkeit wittert, da wendet er sein Antliz oder macht sich einen Spaß, dergleichen Gegenstände mit beißendem Spott zu überziehn. – So ergings dem armen Wamboldt, den er irgendwo traf. Und als ich ihn nachher fragte – warum diesmal so gar unbarmherzig, sagte er: "Ich kenne den Kauz schon seit 20 Jahren, er ist ein schändlicher Ehebrecher fremder Ehen: er hätte noch zehnmal mehr verdient, aber die Gesellschaft mußte geschont werden". – So eine Frau von Lammzahn belustigt ihn; aber keine Bitte brächte ihn dahin, dort einen Besuch zu machen, so ungern er auch sonst Bitten abschlägt. Durchaus nicht leiden kann er, wenn einer Unreines weiß zu brennen sucht; aber ein leidenschaftlicher Vertheidiger wird er, wo er ein Talent oder eine Tugend unterdrückt sieht. So hörte ich ihn herlich den Baron von Unger Sternberg vertheidigen, den die Adelschaft haßt, weil er [...] die eine Hälfte derselben, die schofle, verachtet, und den sie überall anzuschwärzen sucht, weil er in einsamer Familienstille lieber den Wissenschaften lebt. Doch ich will in meiner Erzählung fortfahren. – Auch nicht Ein Wort ward verloren über Jean Pauls Dortbleiben. Wir meinten, es müßte so sein. Unterwegs aber dacht' ich mir andre Personen an Richters Stelle; wie übermütig sich vielleicht der und der benommen hätte; kurz es hätte eine Scene entstanden |11 sein können, wo wir unter uns geklagt hätten: "Da sind wir einmal recht grob angeführt worden." Als ich gestern halb zehn ihn noch nicht bei Schwarz fand, ging ich auf die Landstraße. Ich schlenderte fort bis hinter Wiblingen. Da rollte er mit Sternberg mir in einem Wagen entgegen: ich stieg mit ein, und führte wie im Triumf den lieben Gast nach Heidelberg zurück. Den Mittag aßen wir bei Paulus; Sternberg nahm ich ohne weitres mit, der dort die herzlichste Aufnahme fand. Noch heute dankt mir die Paulus für den lieben Gast, und schreibt unter anderm folgendes:

"Daß ich Sternberg aus allen Kräften vertheidigen werde, darauf können Sie sich verlassen. Kein Freund von J. Paul soll in meiner Gegenwart verläumdet werden; so etwas muß man durchaus nicht dulden!"

Ist dies nicht brav u. wacker? –

(Ein Tag später.) Zwei schöne Abende haben wir gehabt, einen bei der höchst liebenswürdigen Frau von Piatoli, Gesellschafterin der Herzogin von Kurland, die voll Freude ist über Jean Paul, obgleich sie nichts von ihm kennt. Ich werd' ihr in diesen Tagen die Neujahrsnacht eines Unglücklichen vorlesen, eins der schönsten Ausbrüche von J. Pauls glühendem Herzen. Jean Paul sprach von Träumen, wachenden und nächtlichen. "Und welche sind Ihnen die liebsten Träume?" fragte eine Dame. Da hättest Du hören sollen, wie wunderlieblich er uns Palläste und Zaubergärten von allen Edelsteinen und allen Blumen und Pflanzen vormalte. "Oben ist ein großer Saal, von bunten Lichtern erleuchtet. Da sind Ritter in Rüstungen, und schöne Frauen aus allen Ländern, auch ein paar Herzöge sind dabei und allerliebste Kinder, aber nicht von denen, wie die Maler sie malen, sondern wie der liebe Gott sie frommen Eltern schickt". – "Und nun", fuhr er fort, "steh' ich unten und sehe all die Herlichkeiten; aber doch nein, ich sehe sie noch nicht, ich ahne sie erst. Dann strebt die Seele empor; und o Wunder, die Seele ist die ganze Seele, sie fliegt aufwärts, und kein Körper hemmt sie. Der schöne Saal ist erreicht: nun schweb' ich von einer Dame zur andern, und jeder raub' ich einen Kuß: Mags Herzogin oder Gräfin sein – mir alles gleich – aber küssen muß ich sie" u. s. w. Da hab' ich schon wieder etwas Holdseliges entstellt; denn das Seelenvolle des Blicks und der Sprache fehlt hier. |12 Vater Homer hat Recht: "es ist eine Wonne, einen Sänger zu hören, wenn er ist, wie dieser". Gestern waren wir bei Frau Hofräthin Dapping, die ihre Zöglinginnen für die große Welt bildet , und ihnen Geist beibringt aus der Fülle des ihrigen. Daß sie Jean Paul sogleich um eine Dosis Geist ansprach, war ihrer Persönlichkeit angemessen. Im vollen Ernst, die Mädchen wurden in eine Reihe gestellt; wie die Orgelpfeifen, und jeder eine Tasse Thee in die Hand geschoben, ich weiß nicht warum, aber wahrscheinlich als ein Ablenken der jungfräulichen Verlegenheit. Nun sollte Jean Paul zu jeder gehn, und ihr was geistreiches sagen, den Charakter, die Talente, die Neigungen jeder einzelnen betreffend. Jean Paul, der weder ein solcher Herzenskündiger ist, daß er sogleich mit jeder Bescheid wüßte, noch auch Lust hatte (wie er mir nachher sagte), sich lächerlich zu machen, sich aber dennoch nicht ungefällig beweisen wollte, nahm das Rummfläschchen, tröpfelte jeder zwei Tröpflein in den Thee und fragte nach etwas Derbem und Handgreiflichem, wo Fräul. N N. her sei, ob der Ort hübsch läge, ob viele Rosen da wüchsen, und was weiß ich all. Da wurden die guten Mädchen recht traulich, besonders als das Rummtröpflein zu Kopfe stieg. "Sieh, Alter," sagte er mir nachher, "war das nicht schön gemacht? Da haben sie Geist genug gekriegt, und ich habe den meinigen gespart." – Nachher bewirkte er ihnen die Erlaubnis, tanzen zu dürfen. Gern hätte J. Paul mitgetanzt, aber er kann nicht. Gegen das Ende des Tanzes schlang sich eine Reihe von tanzenden Jünglingen und Jungfraun in mehrfachen Kreisen um Jean Paul. Als sie zurücktanzen wollten, hielt er sie auf mit starkem Arm. Nun mußte ihm jedes Mädchen einen Kuß geben, und so ihre Freiheit lösen. Vier Mädchen, die nicht getanzt hatten, mußten ihn auch küssen, und sie weigerten sich nicht. "Noch nie", sagte die ernste Frau Hofräthin Dapping, "ist dergleichen in meinem Institut geschehn, aber es gehörte auch ein Jean Paul dazu, daß es geschehn durfte; diesem Edlen ist alles vergönnt". Mir sagte die |13 Frau Hofräthin: "Dieser Kuß wird noch lange wohlthätig wirken, wenn die Mädchen künftig die Werke des großen Mannes lesen und nun um so inniger fühlen." Ob sie Recht hat, weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß die Frau Hofräthin in Zukunft dieser wohlthätigen Nachwirkung entbehren muß. Ich fragte Jean Paul beim Zuhausegehn, warum er die Frau Hofräthin nicht auch geküßt habe. "Ich hab' ihr ehrerbietig die Hand geküßt", sagte er. "Entweder sie mußt' ich küssen und nicht die Jungfraun, oder die Jungfraun und nicht sie." Und darin hat er wahrlich Recht. Aus dem unschuldigen Spiel wäre eine verzerrte Koketterie geworden. Übrigens war die Dapping, die sonst affectirt ist, noch ziemlich natürlich. Die geistreiche Jüdin, Frau Hofräthin Seckel , bestieg anfangs ihren Pegasus, ein recht mageres Thier, aus Haut und Knochen und Blut bestehend: als es nun mit dem Fliegen nicht recht gehn wollte, stieg sie wieder herunter, u. der Pegasus war wie weggeblasen. – Wie Dein Bruder in all diese Gesellschaft kommt? höre ich Dich fragen. Ich weiß selbst nicht recht, aber man bittet mich eben mit, weil man glaubt, ich gehöre zu Jean Paul, und ihm zu lieb ist mir alles recht.

Vorgestern Abend waren wir bei Schwarz. Jean Paul gab mir meinen Brief zurück, nemlich das zweite Blatt. Anfangs, sagte er, habe ers nicht lesen wollen, wie er aber zu Ende geschrieben, habe er doch gelesen, in der Meinung, daß es mein Wille so gewollt habe. Freilich wollt' ichs, der Stelle wegen über die Frau von Lammzahn. Auch das erste Blatt hat er mir abgeschmeichelt, und wahrscheinlich wird er auch das folgende lesen wollen. Dir läßt er sagen: "alles sei buchstäblich wahr, was ich von der Frau von Lammzahn gesagt." Ferner, "daß er meinen Wunsch wegen des Knabens von Herzen theile." Zum Dank für die Mittheilung gab er mir seine Briefe von Frau und Kindern. Die haben mir einen seltenen Genuß gewährt. Die Frau, in einer gebildeten, aber höchst einfachen |14 Sprache, schreibt noch immer wie eine junge Braut. Sie hängt an ihrem Manne mit schwärmerischen Liebe, sie die sich sogar in einzelnen Worten ausspricht, z. B. "Du Heißgeliebter!", und zugleich blickt sie in Demut auf ihn, wie auf ein höheres Wesen. Es hat mich gerührt, überall die Bitte zu lesen, er möge doch ja recht lange bei den lieben Heidelbergern bleiben, weil sie ihn so liebten und pflegten. Emma schreibt schon ganz vernünftig. Die hat etwas von des Vaters Laune, und seine volle Gutmütigkeit. Ottilie will ihm so gern wieder seinen Kaffee einschenken; es muß ein kleines, liebes Schmeichelkäzchen sein. Aber keiner erfreut mich, wie der ehrenfeste Max, der immer vom Lernen spricht, und den Vater freundlich bittet, er möge doch ja zum ersten September dasein, dann werde er öffentlich examinirt, und werde gewiß gut bestehn. Ich haben dem Jungen einen Äschylos geschickt, die eben erschienene Leipziger Ausgabe, und darin geschrieben: An Max Richter, den Sohn seines geliebten Jean Paul, von H. Voss. "Als Max geboren war", so sagte J. Paul vor einigen Wochen, "o wie schlecht sah der aus, wie eine Spinne" (und dabei krümmte er die Finger recht spinnenhaft), "aber nun solltest du ihn einmal sehen, welch ein schöner Jung' es geworden". Und gesund u. stark sind die Kinder, wie ihr Vater; keine Medicin kommt mir ins Haus, u. Mittags und Abends essen wir Kartoffeln". Der Frau soll ich so viel Küsse geben, wie ich will, hat er mir versprochen. Es muß eine köstliche Familie sein, alles ist im Einklange. – Ja wohl, lieber Abraham, nach Baireuth wollen wir, und dann nehmen wir unsern Doctor mit auf die Bettenburg und wenn der Max ein ordentlicher Bube ist, wie Ludwig, den dazu. Das soll ein Leben werden! Vormittags von 8–12 schenken wir ihn den Musen, den übrigen Theil des Tages er sich uns. – Doch ich wollte Dir vom Donnerstag Mittwoch Abend erzählen. Eine große Gesellschaft war versammelt; darunter Prediger Bremen, Dräseke, Abegg etc. auch ein sonderbares Wesen, das ich anfangs für einen Schauspieler hielt, endlich aber für den Pfarrer Ullhorn aus Mannheim nehmen |15 mußten, ein zierliches Männchen mit einer Art von Christuskopf, und gescheiteltem Lockenhaar, das seiner Schönheit willen den Träger beständig Chapeaubas zu gehen zwingt. Er stammt auch aus Bremen, und ist wohl gar verwandt mit uns. Er soll zum Entzücken schön predigen, und besonders den Damen gefallen, für die er auch Futter aus Jean Pauls Geistesspeichern einzustecken geschäftig war. Daß er das Glück hatte, meine Bekanntschaft zu machen, löste ihm die Zunge zu einer mehr als nestorischen Suada über mein edles Gemüt, und ich weiß nicht all was; wobei mir unsre selige Großmutter einfiel, der ich einmal einen selbstfabricirten Psalm vordeklamirte. "Jung", rief sie aus, "Jung', wo hast du all die Wörder her?" – Ein Machtgebot erscholl aus Schwarz Munde. Sogleich stellte sich die Gesellschaft in zwei Kolonnen, und ich ward aufgefodert, Jean Paul bis an die Orgel hinzuführen. Da gabs zu meinem nicht geringen Verdruß wieder etwas theatralisches, und ich bedauerte Jean Paul von ganzem Herzen, als er mir bittend ins Ohr flüsterte: "O wende ihn von mir, den herben Kelch, mein guter Bruder!" Ein Kranz von Suppenlorber ward hervorgelangt, und sogleich trat ein Bübchen aus der Schwarzei auf, ein schlechtes Gedicht über den Ruhm und Jean Pauls Unsterblichkeit herzustottern. Da schöpfte ich Athem. Wie es gar nicht vorwärts wollte mit dem Ruhm, nahm Jean Paul den Knaben auf die Arme, küßte ihn, und sagte: "Du hasts gut gemacht, mein Junge, laß nur gut sein"; und wir übrigen fingen gar herzlich an zu lachen. Die Feierlichkeit konnte nun gar nicht wieder in Gang kommen. Ich weiß gar nicht, wie gescheute Leute auf solche Thorheit gerathen. Auch kein Wort ist gesprochen worden über den Kranz, den Schwarz Jean Paul, und J. Paul wieder Schwarz auf den Kopf setzen wollte. Während des Complimentirens traten Vincenti's aus Mannheim in die Stube, und machten dem Ding vollends ein Ende. Um drei Uhr Nachmittags fällt es ihnen ein, den lieben Jean Paul noch einmal zu sehn, und sogleich wird angespannt. Schon einige Stunden waren sie umhergeirrt, ehe sie bei Schwarz läudeten. Auf dem Schloßberge hatten sie ihn gesucht, durch ein falsches Gerücht verleitet. Jezt stand schon ihr Wagen vor dem Mannheimer Thor zur Rückkehr bereit. Daß ich die Gesellschaft an die Wagen begleitete, war natürlich, eben so natürlich, daß ich ihnen unterwegs viel von Jean Paul erzählte. Als wir an die Wagen kamen, baten mich Vicenti's, besonders Laura, so dringend, |16 noch ein Streckchen mitzufahren, und fortzuerzählen, daß ich schon nachgeben mußte. Erst gegen zehn Uhr kam ich zur Gesellschaft zurück, die bald darauf zu meiner Freude aus einander ging. – Gestern Abend waren wir bei Paulus, eine artig ausgewählte Gesellschaft und recht grundherzlich vergnügt. O wie so anders war es den Abend, als wir beiden mit Zelter und den Schwestern dawaren , und wie beide aus Verdruß auch nicht einmal einen Tropfen vom schönen Bischof trinken wollten! Merkwürdig war mir Uhlands Bekanntschaft, dem man nicht sogleich ansieht, was in ihm steckt. Als Dichter steht er mir hoch, bedeutend hoch, höher wegen der Kraft, womit er die Rechte des Landes gegen den König zu schüzen sucht. Nur Schade, daß man in Jean Pauls Gegenwart bedeutende Männer doch nicht recht kennen lernt. Wenn Jean Paul auch nicht grade verdunkelt, so lenkt er doch, ohne es zu wissen und zu wollen, die Aufmerksamkeit zu sehr auf seine Persönlichkeit, als daß für andre viel übrig bl eibt iebe . Heute Mittag ißt Jean Paul bei Paulus, ich auch; zum leztenmal: Heut Abend noch einmal wir alle bei Schwarz; und morgen früh – ja wohl, guter Richter, adio. Er hat sich außerordentlich gefreut, daß ich bis Neckargemünd ihn begleiten will. Er hätte mich drum bitten wollen, wär' ich ihm nicht zuvorgekommen. Um 10 Uhr bin ich wieder zurück.

Dann gehts sogleich wieder an die Arbeit, die in den lezten Tagen durch den theuren Freund etwas unterbrochen ist. Heut Nachmittag pack' ich ihm seinen Koffer, und ordne seine Papiere u Briefschaften, und all die Geschenke, die ihm für seine Kinder sind gemacht worden. Das liegt, da alles auf einmal gekommen ist, besonders aus den Händen der Frau von Ende, in Chaotischer Unordnung. – Vom Aristofanes hat er drei Stücke gelesen, und wahrhaft genossen. Auffallend war mir, wie die Päo Rhythmen auf ihn wirkten, gar nicht anfangs durch ihre innere Schönheit, sondern durch den Reiz der Neuheit. Daß der so sehr musikalische Mann, der ganze Nächte durch auf dem Klavier fantasiert, |17 Sinn für Rhythmus hat, läßt sich voraussagen. Aber sein Ohr ist gar zu wenig an die Rhythmen gewöhnt. Alles, was nicht Jambus, Trochäus oder Dactylus ist, sezt ihn in Erstaunen. Und nun kannst Du denken wie es ihm bei den Päonen und gar Galliamben erging, deren ich ihm vorsagte. Die päonischen Verse in der Lysistrata belustigen ihn, zumal die

Bolligen Beköstigungen ,
bei denen ich ihm so recht sinnlich anschaulich machte, wie schwierig es gewesen, Zwiebeln und Knoblauch in diesen Rhythmus zu zwingen. – Ich sehe durch den Tubus, und siehe da? noch einmal sizt er auf seinem Lieblingsplaz, und schreibt – Vielleicht einen Abschied von Heidelberg; und sein treuer Alert liegt neben ihm auf dem Tisch. Daß ich ihn öfter belauscht, hat ihm die Paulus erzählt. Er hat geantwortet, ich könnte tun, was ich wollte, und wir hätten ja schon an E e inem Tische gearbeitet, wie auch wirklich ein paarmal geschehen ist. Auch zur Winterszeit arbeitet er wenigstens einige Stunden im Freien, u wenn er dann schreibt, so geschieht es stehend, wobei er ein eignes Gestell hat, worauf er die Füße sezt, damit der Schnee ihm nicht durch die Stiefel dringe. Daher mag er auch so kerngesund sein; denn er ist das völlige Gegentheil von einem schwächlichen Stubensizer.

Wie soll ichs machen, an die Eltern zu schreiben? Thu Du es statt meiner, u. sage, daß nichts schlimmes in Heidelberg vorgefallen. Die Mirabellen, so viel davon nicht gestohlen ist, hab ich alle getrocknet; die blauen Pflaumen sind sämtlich gestohlen. Ich habe den Buben durch den Polizeiwächter auspeitschen lassen. Es ist der selbige, der [...]los so bestiehlt. Die Puter leben, bis auf zwei, die gestorben sind, also 7 an der Zahl, und sind flink und wohlig, wahre Puterjünglinge, und der Rubinenschmuck stellt sich auch schon ein. Die Hofräthin Tiedemann ist ganz gesund. – Heute laß ich Bohnen schneiden für den Winter. Die Melonen sezen stark an, die Gurken noch stärker. Der Kornsegen ist überschwänglich. Gleichwohl steht das Brot noch in hohen Preisen. – Schreib' auch, daß alle, die ich sehe, von Herzen grüßen, |18 bei Emilie alles groß und klein. – Nun gebe Gott, daß heut Briefe kommen, aus Eutin, aus Rudolstadt, und von der Bettenburg. —

Ich könnte Dir leicht aus Jean Pauls Munde sogenannte brillante Gedanken in unendlicher Fülle mittheilen, oder ganze Gespräche – wenigstens auszugsweise – über ernste Gegenstände. Aber eines theils hab' ich dazu nicht Zeit, da ich meine Briefe in abgerissenen Augenblicken, gewöhnlich Abends vor dem Zubettegehn, zusammenflicke, andres theils schreib' ich auch in der That lieber Züge nieder die den Menschen charakterisiren, als Dinge, die Du in seinen Werken ohnehin besser findest, als ich sie sagen kann. So z. B. über Unsterblichkeit hat er nichts gesprochen, als was in seinem Kampanerthale steht, nehmlich dem Inhalte nach. In der Form wird ihm freilich der Stof bei jedem neuen Gespräche von Neuem neu. Aber das mitzutheilen, wäre wohl eine platonische Hand erfoderlich. – Glaube aber ja nicht, daß ich Dichtung unter die Wahrheit menge, außer etwa in einer unbedeutenden Kleinigkeit, wo sich die Dichtung sogleich als Dichtung ankündigt. Würde ich sonst wohl Jean Paul Briefe von mir sehn lassen?

|19
Sonntagd. 24 Aug. 1817.

Er ist fort, der theure, herzliche Mann; die Zeit war im Fluge, und keine Macht konnte sie zurückhalten. Schon seit 4 Uhr wache ich, denke des Freundes, und sehne mich nach Tagesanbruch, um Dir, mein guter Abraham, noch einiges von ihm zu melden; denn ich weiß, Dich freut es, und mir ist das Hinschreiben ein Nachgenuß, höher wie das Überdenken schöner Tage auf einsamen Spaziergängen. Jean Paul war sehr, sehr froh, als ich ihm Donnerstag Abend sagte, ich wollte ihn mit bis Neckargemünd begleiten. Kam ich ihm nicht zuvor, er hätte mich selbst darum gebeten. Freitag Morgen ging ich zu ihm, seine Papiere zu ordnen, sein Geld zu sortieren etc. Ich fand ihn aber nicht zu Hause: er war auf die Sattlermüllerei gestiegen, um ein Stücker 15–20 Stammbuchblätter zu beschreiben, und lästigen Abschiedsbesuchen unbedeutender oder eitler Menschen zu entgehn. "Denn, was mir so recht lieb ist", sagte er, "will ich selber schon aufsuchen." Ich geschwind zu Hause, und stelle mich an den Tubus. Eben ist ein Blatt fertig. Er spaziert einen Augenblick herum, nimmt ein neues Blatt; mit anderthalb Zeilen ists getan. "Das ist nur so ein guter Bekannter", denk' ich bei mir. Aber halt, nun kommts anders. Mit sehr freundlichem Gesichte nimmt er ein neues Blatt; er schreibt und schreibt, sechs Zeilen und noch kein Ende. "Mit dem meint ers gut", sag' ich mir; und so war's auch; es war Carové's Stammbuchblatt. Nun rauscht was aus dem Gebüsch. Er sieht finster aus; doch nein, er wird wieder freundlich, er geht mit schnellen Schritten entgegen, ein Frauenzimmer kommt hervor, es ist Sofie Paulus, und gleich hinterdrein die Kirchenräthin Schwarz. Sie sagen ihm etwas sehr angelegentlich, und weisen mit dem Finger aufwärts. Nun merk' ichs Jean Paul soll zum Riesenstein hinauf. Mein Tubus weiß zu folgen. Bald stehn sie oben. Links u. rechts schauen sie, und sprechen wenig. Nun verlier' ich sie und bekomme sie nicht wieder. Den Mittag ess' ich mit ihm bei Paulus. Über Tisch ward von einem Fackelzuge gesprochen, der mit dem einem Studenten sollte gegeben begraben werden, der sich Tags zuvor erschossen hatte. Jean Paul erschrak über den Gedanken. Als wir ihm aber sagten, es sei ein Mensch von kläglicher Gesundheit gewesen, der in einem Anfalle von Wahnsinn bei unerträglichen Kopfschmerzen gewaltsam Hand an sich |20 gelegt, daß er also mehr Mitleid und Bedauern verdiene als strengen Tadel; daß er ferner ein so guter Mensch gewesen sei, und die Liebe aller Lehrer und Mitstudenten erworben habe; nahm er sein Wort zurück, daß einem Selbstmörder keine Ehre geschehn müsse. "Er war nicht Er," sagte J. Paul, "als er die schreckliche That verübte"; – und dann, nach langem Nachdenken: – "und für die Unglücklichen Eltern ist es auch einiger Trost, wenn sie auch nach solcher Tat Liebe für den Sohn erblicken." – der Vater ist der Regierungspräsident Roth in Pforzheim. Zwei andre Roth , Söhne andrer Eltern, auch aus der Nähe, studieren hier. Zu den Eltern dieser sind sogleich Studenten gereist, um ihnen zu melden, nicht ihr Sohn sei der Unglückliche. Der Vater des Unglücklichen soll untröstlich sein. Bei der Sektion hat sich die höchste Unordnung in den Gedärmen und im der Herzen gefunden. In kurzer Frist hätte er nach Naturgesezen doch sterben müssen. – Um halb 3 Uhr ward Jean Paul unbeschreiblich wehmütig gestimmt. Sein Auge füllte sich immer mit Thränen; nicht ansehn durfte man ihn, nicht die Hand ihm drücken; er wäre außer Fassung gekommen; und doch merkte ich ihm an, wie Gewalt er sich that, in eine fröhliche Stimmung zu kommen, was ihm auch auf Augenblicke gelang. Ich entfernte mich, und sagte, um 4 wollte ich zu ihm kommen, ihm einzupacken. Unterdeß ging ich zu Hause, mein Sophoklespensum noch einmal übersehn. Um 4 Uhr fand ich ihn aufs Bett geworfen, die Augen verweint. Aber er konnte mit fester Stimme reden. "Mein guter Bruder," sagte er, "wie dank' ich Dir, daß Du mich morgen begleiten willst. So soll ich mich doch nicht auf einmal losreißen von allem, was mir theuer ist." Der Abschied von Paulus war ihm sehr schwer geworden, besonders von der Mutter, die es so recht innig fühlt, wie J. Paul die Fröhlichkeit im Hause, die lange verschwunden war, wiederhergestellt. Auch die kindliche Hingebung der guten Sofie mußte seinem Herzen wohl |21 thun. Und welche Liebe hatte er von Paulus genossen, der edlen Gastfreiheit des Hauses gar nicht zu gedenken! Ich bat Jean Paul, auf mich gar nicht zu merken. Ich wollte still für mich lesen, und er sollte unterdeß Wäsche, Kleidung, Bücher, kurz alles, was in den Koffer sollte, zurecht legen. Er gab mir den umgearbeiteten Siebenkaas. Überall fand ich ganze, halbe, Viertelseiten ausgestrichen, ausschweifende Empfindung gemäßigt, ungezügelte Ausbrüche der Fantasie beschränkt; und was mich besonders freute, alle ausländischen Worte entweder gradezu mit inländischen vertauscht, oder den Saz so verändert, daß das Wort entbehrt werden konnte. Wo aber die Ausmerzung nicht möglich war, hat er die Wörter mit lateinischen Buchstaben geschrieben, grade wie wir es bei Shakspeare thun, um die Böcke von den Schafen zu sondern. Der Zusäze sind noch weit mehr. Ich brachte ihn allmählich in eine ganz heitere Stimmung hinein; und so fand ich ihn auch um 7 Uhr, als ich ihn bei Daub abholte, um noch einen Besuch bei Hegels zu machen, nachdem Schwarz ihn vorher zu Creuzer und einigen andern geführt hatte. Wie wir bei der heiligen Geistkirche sind, hören wir hinter uns eine Stimme, und sogleich stapft uns ein wohlbeleibter Herr munter an der Krücke nach – Tiek wars, der eben über Paris aus London zurückgekehrt ist. Schwarz lud ihn zum Abendessen. Tiek und Jean Paul fanden sich sehr verändert, körperlich zuerst, und dann dieser jenen geistig zu seinem Vortheil. Tiek hat das Schneidende verloren, und kann in der That überaus angenehm sein. Ob er aber ist, was er scheint, mag ich nicht untersuchen. Jean Paul hat einige Zweifel, und doch weit mehr Paulus und seine Frau. Mich selbst kümmerts wenig oder gar nichts. [...] Hegels fanden wir nicht zu Hause. Sie waren, denk Dir, zum Abendessen – bei Vogels. Wie kann man sich so wegwerfen? – wenn gleich Frau und Tochter recht gute Personen sind. Das ist das Zweitemal, daß ich Hegel ein bischen böse bin. Das erstemal zürnte ich ihm vor 8 Tagen, als wir Jean Paul aus Manheim holten wollten. Da verlangte er von |22 mir, ich sollte Vermittler werden, daß ein Student dem lieben Jean Paul einen Professor der Philosophie aus Paris, Namens Cousin, zuführte, der den großen Mann kennen zu lernen begehrte. Dieser Cousin, der mit Hegel täglich auf französisch philosophirt, kann kein Wort französisch deutsch . Jean Paul radebrecht ein wenig französisch. Da dacht' ich Jean Pauls herlicher Recension [...] von der Frau von Stael Werk über Deutschland, und erklärte rund heraus: Daraus sollte nichts werden! Es sei eine hohe Anmaßung, daß französische Professoren, ohne deutsch zu können, nach Deutschland reißen, und von in einem jeden Deutschen einen französischen Landsmann erwarteten. Auch könnte Herr Cousin den wahren Jean Paul nicht kennen lernen, so wenig wie die Stael den wahren Schiller, als dieser gute Mann sich hergegeben habe, mit ihr in gestottertem Küchenfranzösisch über Gegenstände der Ästhetik zu rechten. Hegel gab mir in allem Recht, und half nun selbst den Franzosen abzuwehren. Du glaubst nicht, welche Noth ich hatte gehabt habe , noch andre Fliegen von diesem Löwen abzuhalten , um mit Aristofanes zu reden. Vor vier Wochen schon gab mir Engelmann ein Heft rouxischer Landschaften , die bei ihm so eben herausgekommen sind, als Geschenk für Jean Paul. Die überliefre ich. Tags drauf kommt eine Bitte, Jean Paul möge doch ein paar Worte Recension darüber schreiben. Die wird abgeschlagen, und ich denke nicht mehr daran. Nun hat sich Pfarrer Dietenberger mißbrauchen lassen, der Überbringer solcher Bitte zu werden. Aber Jean Paul ist sich selber getreu geblieben. Vom Geschenk w i o llte er nun gar nichts wissen. "Es ist kein Geschenk aus freiem Herzen" sagte er, "der Mann wollte mich nur benuzen; und wie könnt' ich drüber öffentlich drüber reden, oder vielmehr [...] die Kupfer mit vollen Backen ausposaunen, da ich von Malerei nichts verstehe"? Keine Bitte von Schwarz: "er sollte das Heft doch für die Kinder mitnehmen", wollte fruchten. Und das billige ich. – Von halb 8 bis 9 Uhr war ich mit Jean Paul allein, und wir packten Papiere u Geld in einen Pappkasten, den wir uns hatten machen lassen, und besorgten den Kober, wobei ich |23 mein Pfeifchen gemütlich rauchen konnte. Erst als wir bei Tische saßen, kam Tiek. Er unterhielt uns angenehm über Shakspeare, und sprach bescheiden. Es war aber eine andere Bescheidenheit als bei Jean Paul, es war eine Bescheidenheit, die sich derselben bewußt ist. Um zehn Uhr hielt ich Jean Paul die Uhr vor, ihn bittend, er möge zu Bette gehn. Das verdroß Tiek ein wenig. "Sie sind wohl sein Hofmeister", fragte er, "[nicht ohne Spott, aber doch in gutmütigem Tone". "Ja", sagte ich, "heute Abend bin ichs; ich muß für den Mann sorgen, der gestern Abend so spät zu Bette ging, und Morgen um vier heraus muß, wenn er vor fünf fahren will". Dies war Jean Paul gar zu lieb. – Wollte Gott, es hätte so viel gefruchtet, daß auch Tiek fortgegangen wäre; denn Schwarz schlief oder nickte schon und die Frau stand oder daß auf Kohlen. Schwarz wollte mir noch ein Glas Wein einschenken. "Nein", sagte ich. "so spät keinen Tropfen mehr; auch Ich muß früh heraus" Das half aber alles nichts. Tiek sprach in Einem fort, was mir freilich lieb war, weil wohl keiner so gründlich den Shakspeare studirt hat, wie Er, und ich ihm alles, wie einen lebendigen Kommentar nur so abfragen konnte; aber zu dieser Tageszeit nicht, noch in diesem Hause nicht. Endlich mußte Jettchen noch die Harfe holen, und Thema's mit Variationen spielen. Kurz, es war zwölf Uhr, wie wir aufbrachen; und ich konnte früher doch auch nicht gehn. Denn wer hätte Tiek in den Gasthof zum Hecht bringen sollen? Die Mädchen schliefen alle, weil J. Paul sie frühs brauchte; und Schwarz? Das ging nicht; denn der arme Mann ist kränklich in dieser Zeit; nein Ich mußte es thun, Ich der Gesunde. Es währte wohl eine Stunde bis wir ankamen. Denn erstlich ist Tiek schlecht zu Fuß, zweitens kamen wir so in loves labour lost hinein, das auch Tiek übersezt hat, daß wir alle Augenblicke in das Stillstehn, und durch das Stillstehn in das Gründlichsprechen hineingeriethen. Wenig schlief ich die Nacht, und war doch munter als ich dreiviertel um fünf zu meinem lieben Jean Paul kam, den ich schon völlig angezogen fand, und eben in begrif, sein Frühstück, Kaffe u Butterbrot, |24 mit mir in gleiche Portionen zu theilen. "Du sagtest mir gestern", fing er an: "die Uhr ist abgelaufen. Wohl; aber schön, daß sie aufgezogen war, und daß wir sie wieder aufziehn können". Wir hatten noch eine halbe Stunde, ehe Schwarzens kamen, und der Wagen war auch noch nicht da. Wir konnten noch so schön gemütlich sprechen. "Sei meinem Max," sagte er, "was du seinem Vater bist; denn hier soll er studieren. Der Junge ist unverdorben. Aber er ist feurig und lebhaft; und ich fürchte es steckt etwas Leichtsinn in ihm, den er vom Vater geerbt haben mag, wenn er gleich in mir nicht zum Vorschein getreten ist. Ein angehender Student ist wie ein Pulverfaß, das durch die Stadt voll Wachtfeuer gefahren wird. Nimmt mans nicht gut in Acht, so entzündet es sich, und fliegt auf. Bitte deine theuren Eltern, von denen wir so oft gesprochen haben, daß auch sie den Max nach einigen Jahren freundlich aufnehmen. Und andre haben mir das auch schon versprochen." Ich bat ihn, Max doch ja nicht vor dem 19 Jahre auf die Universität zu schicken. – Klopstock soll einmal gesagt haben, das Abschied nehmen habe Gottsched erfunden. Ich glaube ihn zu verstehn; die Überzeugung, man werde sich wiedersehen soll über den Schmerz der Trennung siegen. Aber der Abschied von solch einem Menschen thut doch auch wohl; er hat etwas erhebendes, was stärkendes. Jean Paul war tief bewegt; er sprach fast kein Wort; er lächelte mit einer Thräne im Auge. Ich hatte seinen Sinn getroffen. Ich hatte dem Fuhrmann gesagt, er müsse durch die neue Straße fahren, damit wir Paulus' Wohnung vorbeikämen. Vor der hielten wir still, zu Jean Pauls freudiger Überraschung. Vater Paulus stand am Fenster., Jean Paul stieg aus, um noch einen guten Morgen hinaufzuschrein. Mutter und Tochter erschienen nicht, obgleich wir drei bis vier Minuten warteten. |25 Das können sie gar nicht verschmerzen. Die Mutter hat ordentlich Entschuldigungen deshalb gemacht, wie ich sie gestern besuchte: sie sei so lange bei Krappfries gewesen, ich glaube bis zwei die Nacht, oder nahe dran u. s. w. Frau von Ende stand am Fenster, und warf einen Korkenzieher in den Wagen zu drei bis vier Flaschen Porterbier, die sie für Jean Paul herbeizuschaffen wußte. Nun fuhren wir zum Thor hinaus.

Ich bat ihn, mir eine Erklärung zu geben, was er mit dem Leichtsinn gemeint habe, der im Richterschen Blut stecken solle. Da erzählte er, zwei Brüder habe er gehabt, die sehr gutmütig gewesen wären, aber grenzenlos leichtsinnig; der eine, ein Barbier, sei erst im Anfang dieses Jahres gestorben, "zu meiner schmerzlichen Freude; denn er war nicht mehr auf den grünen Zweig zu bringen, wie sehr ich auch täglich an ihm arbeitete, und mit Geld unterstützte." Den andern Bruder hat Jean Paul vor 20 Jahren nach Leipzig gebracht, damit er dort unter seiner Aufsicht und sogleich auf seine Kosten studirte. Der geräth, troz der brüderlichen Hut, in schlechte Gesellschaft, ergiebt sich, unter dem Vorwande, mit gleichaltrigen Freunden zu studiren, dem Spiele; endlich bestiehlt er seinen Bruder, der eben eine gute Buchhändlereinnahme gehabt, um mehrere hundert Thaler und geht davon. "Er war kein schlechter Mensch", sagte J. Paul, "nur leichtsinnig. Nachher kam wahre, tiefe Reue furchtbar über ihn. Ich verzieh im alles, und vergaß es. Gott hat ihn mir genommen, in der Jenaer Schlacht fand er, unter den Preußen dienend, den Heldentod." – Nun begreife ich viele seiner kleinen Dichtungen, und Anspielungen, und das ewig Streben in seinen Werken, die Jugend auf dem Scheideweg vom Laster abzuschrecken. Ich bitte Dich, lieber Abraham, lies die Neujahrsnacht eines Unglücklichen. Sie steht in der Chrestomathie, die gewiß in Rud. zu haben ist, Band 2 S. 150 . – Noch einen Bruder hat Jean Paul in Baireut, einen guten, ehrlichen Philister, so eine Art von Kammerrevisor, den sein Amt redlich nährt, und der ein guter Vater seiner acht Kinder ist. Von der Mutter, die aber schon todt ist, spricht Jean Paul mit unendlicher Liebe. Nach des Vaters Tode ist die Familie, in der drückendsten Armut gewesen. Das hat Jean Paul bewogen, schon 1884 , in seinem 18ten oder 20ten Jahre, seine grönländischen Prozesse drucken zu lassen. "Wie froh" [...], spricht er, "war ich bei meinem |26 trockenen Stück Brot, wenn ich der Mutter nur was besseres zu verschaffen wußte. Aber Gott hat mir noch die Freude geschenkt, daß ich ihr späterhin vergelten konnte, was sie für mich gethan, die gute, fromme Mutter." – "Gehungert", spricht er, "hab' ich arg und überarg; aber nie den Mut verloren, nie meine Heiterkeit verloren. Ich wußte, es mußte gut gehn, und es ging". – In Neckargemünd mich von ihm zu trennen, war mir nicht möglich; es war ja auch so früh am Tage. Und wie sollt' ich wegkommen, da er schon lange meine Hand festhielt, und gar nicht losließ. Endlich mußte ich doch fort. Ich kann Dir nicht sagen, wie traurig ich war. Als ich den Wagenschlag wieder zugemacht hatte, ergrif ich nochmals seine Hand, und drückte den Kuß der Ehrerbietung darauf. Sein letztes Wort an mich war: "Grüße deine herlichen Eltern; und du, lieber Bruder, sei noch ein wenig glücklicher, als du jezt schon bist, und das recht bald." Ich verstand ihn, den Theuren.

Noch sind wir Freunde Jean Pauls ein wenig in Aufruhr über die Erscheinung. Frau von Ende hatte mit einer Chocolade drei Stunden auf mich gewartet, und immer am Fenster gestanden, bis ich zurückkommen würde; aber ich ging linksum am Thore u. kam durch die Nebengäßchen zu Hause. Ich war noch immer recht traurig. Gleichwohl ging die Präparation zum Aristofanes rasch vor sich. – Nachmittags bei Paulus war ich ein willkommner Bote. Es ward ausgemacht, daß wir dem theuren Mann in diesen Tagen und recht lang u. umständlich schreiben wollten. Auch Frau von Ende empfing mich, wie zu erwarten war, herzlich ja liebevoll. Gestern Abend bat mich die liebe Frau von Piatoli zum Thee. Frau von Ende war da, und Frau von Ditmar . Ich las aus der Chrestomathie von Jean Paul vor; u. wir sprachen nachher bloß von ihm. Heute gehts abends zu Paulus, u. da wirds nicht anders werden. – Frau von Ende erzählte neulich eine Geschichte, in der sie die Bestätigung eines ihr eingewurzelten Aberglaubens zu finden glaubte. "Das war wohl recht Wasser – nein nicht Wasser, sondern Wind auf Ihre Windmühle", unterbrach Jean Paul sie, noch ehe sie ausgesprochen hatte. Frau von Ende beschwerte sich komisch über die Grobheit dieses Vergleichs. "Ei", sagte Jean P., "das wollen wir schon feiner machen; das war also wohl recht Äther auf Ihre Äthermühle". Seitdem heißt sie die Äthermühle. So hab ich denn diesen Mordbrief noch mit einem Schwank geschlossen, und nun kein Wort mehr von Jean Paul. Es gehe Dir wohl, bester Abraham, und der guten Maria.

Euer Heinrich.

d. 24 Aug


Ei, ei, da finde ich, weil ich den Brief versiegeln, noch einen leeren Plaz. Wie kommt der her? – Mit Ungeduld seh' ich einem neuen Briefe entgegen, ob der Junge endlich da ist , und was die Eltern nun machen. Ich war freitag ein wenig ungehalten, als die Post gar nichts brachte, als einen elenden Wechsel von Bothe.
Seit wir Jean Paul zum Doctor gemacht haben, will jeder Narr Doctor werden. Schon fünf hab' ich abgewiesen. Jezt ist einer da, den wohl nichts hindern wird, in unser Corpus einzutreten, selbst nicht seine große Dürftigkeit.
Jezt wird Jean Paul in Augsburg angekommen sein. Wie sehne ich mich nach einem Briefe von ihm?
Der arme Heinrich mit seiner Beule oder Bouse! Nun ist doch wohl alles geheilt? –

Zitierhinweis

Von Heinrich Voß und Jean Paul an Abraham Voß. Heidelberg, 16. bis 24. August 1817, Sonnabend bis Sonntag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1691


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage

H: BSB, Vossiana, 46
6 Dbl. und 1 Bl. 8°, 26 S.

Überlieferung

D: Persönlichkeit, S. 189–194 u.195–200, Nr. 221 u. 223 (unvollständig).