Von Heinrich Voß an Bernhard Rudolf Abeken. Heidelberg, 20. und 21. September 1817, Sonnabend und Sonntag
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|1 Sei behutsam mit diesem BriefMit anderer Tinte geschrieben.
Du hast mir diesmal einen magern Brief geschrieben, mein guter Abeken, aber Du sollst doch Dank haben; und wie ernst es mir mit diesem Dank ist, das nim daraus ab, daß ich gleich den selbigen Tag Abends halb 10 Uhr mit der Antwort beginne. Was die Bücher betrift, die sollen Dir mit Meßgelegenheit geschickt werden, aber schwerlich sind es so viele, als Du wünschest. Du hast, wie mir Winter sagt, gegen 40 Gulden in allem errecensirt. Davon geht der Plutarch ab, den Du bereits erhalten hast, und – – doch das alles findet sich; und schicke Du nur mehr Recensionen, vor allem die über den fatalen Müllner, über den Hegel u. ich vollkommen mit Dir gleich denken; dann soll es an Büchern nicht fehlen. – Ja wohl hast Du Recht, mich wegen Jean Paul selig zu preisen; ich bin über alles Verdienst hinaus durch den Mann glücklich geworden; und lieb haben wir uns wechselseitig gewonnen, das geht fast zu arg; für so was sollte man noch ein anderes Wort haben, als Liebe und Freundschaft. In der Zeit, daß dieser Herzensmann hier war, führten wir manchmal ein ganz burschikoses Leben, schwärmten Nächte durch, versteht sich, in allen Züchten und Ehren, und in allem war der Theure voran, und Scherz und Ernst waren ihm gleich heilig. Wie oft hab' ich Dich herbei gewünscht, und Abraham, und Truchseß! Keiner ist ihm so nahe gekommen in Heidelberg, wie ich. Schon am 4ten oder 5ten Tage bot er mir das Du des Herzens an, E r, der sonst so geizig ist mit dieser "Herzenskurialie", und sich freut, in einer Sprache zu leben, die ein Sie bietet, und wo man zwischen jedes zweite Wort ein Hoch-, oder Wohl-, oder Sonst-geboren sezen kann" (wie er irgendwo sagt.) Aber glaube mir, nicht eitel macht mich das, (stolz eher); nie fühlte ich mich mehr zur Demut gestimmt, als in dieses Mannes beseligender Nähe. Ich habe oft scherzhafte, mitunter sogar leichtfertige Gespräche mit ihm geführt; nie aber hab' ich ihn mit plumper Vertraulichkeit angetastet, wie so mancher, der ihm gleich zu stehn glaubte, weil der herliche Mann so schlicht einhergeht. Eine geistreiche Jüdin bat ihn, einen Brief an ihre Freindin nach Manheim mitzunehmen und selbst zu besorgen. "Jean Paul ist kein Briefträger", fuhr ich sie an, "und daraus wird nichts!" daß die arme Frau unter ihrer dicken Schminke ganz blaß ward. Immer stand ich als sein Ehrenwächter auf die Lauer, damit ihm kein Unglimpf geschähe. Ach, wie selig war ich, wenn er zu mir kam, oder ich ihn auf seinem Zimmer allein fand: Dann gings an den Aristophanes, und über den Shakspeare her; oder wir sprachen zu einander aus recht vollen Herzen, zankten uns auch mitunter recht wacker und ordentlich. |2 Oft wenn ich ihn vor mir sah, und dachte: "Du bist Verfasser von der Neujahrsnacht eines Unglücklichen", und hast durch dies Stück, und durch andere, so manchen Menschen auf die Bahn der Tugend zurückgeführt"; und er dann so unschuldig da stand, gar nicht zu ahnen scheinend, wie groß er sei; dann ergrif mich eine unnennbare freudige Wehmut; ich mußte seine Hand ergreifen, und ihm ein Wort der Liebe, gewöhnlich ohne alle Sprache, ins Herz drücken. Das Herliche ist, man kann diesem köstlichen Mann alles sagen, was, und wie mans fühlt: es ist gar nichts affectirtes in ihm, alles ist reine Empfindung in ihm; und da, wo er anders zu empfinden scheint, als andre Naturen, muß man sich am Ende sagen: er ist bloß eine andre Natur, wie sie außer ihm nicht auf Erden existirt. Noch immer wird meine Seele warm und weich, wenn ich an ihn denke, diesen holy xrroerer, und es ist mir nicht anders als ständ' er neben mir mit dem Herzen voll Glut, mit dem Auge voll Liebe und deutscher Treue, und dem schönen durch und durch milde und gutmütigem Antlize, auf dem aber auch Gott sei Danck! der edle Zorn seinen Tempel hat. Den letzten Mittag aß ich mit ihm bei Paulus. Bis halb drei Uhr waren wir fröhlich, dann ernst, weil der Gedanke an Trennung aufkam. Paulus Frau u Tochter sind schwärmerisch in Jean Paul verliebt, ich nicht weniger: Du kannst denken, daß wir ihn recht wehmütig ansahn. Da fing er bitterlich an zu weinen, wollte reden und konnte nicht. "Ihr guten Seelen – –", das war alles, was hervorkam. Lieber Abeken, ich konnt' es nicht aushalten, ich ging leise davon, ging aber halb fünf zu Jean Paul, um seinen Koffer, den er sehr romantisch gepackt hatte, klassisch umzupacken. Er hatte sich aufs Bett geworfen; seine Augen waren fast roth geweint. Nicht ansehn durfte ich ihn, nicht die Hand ihm drücken, gleich weinte er heftiger. Ich bat ihn, sich gar nicht um mich zu bekümmern, sondern still alle Sachen zusammenzulegen, die in den Koffer sollten, und die nicht, Ich wollte unterdeß in einer seiner Handschriften für mich lesen, das geschah. Nach einer Viertelstunde fing ich an, ihm von seinen Kindern vorzusprechen, überhaupt seinen Blick auf seine Familie zu kehren, und damit stellte ich nach u. nach seine Heiterkeit her. Da gab er mir die Briefe seiner Frau und seiner Kinder zu lesen, eine seltene Gunst! "Guter Bruder (dies und Alter waren sein Lieblingsausdruck gegen mich, die sind auch in seinen herlichen |3 und herzlichen Briefen) "guter Bruder", sagte er, "meine Frau soll auch Deine liebe Schwester sein, und Du sollst ihr viele Küsse geben". Dann sprach er von der Seligkeit der neuen Flitterwochen, die ihm jezt bevorstünden, und von seinem wackeren Max, und von Emma u. Otilie. "Max soll bei euch studiren", sagte er, "und Du, guter Bruder, sei ihm, was Du dem Vater bist, der Junge ist brav u. unverdorben. Aber die Universitätsjahre sind gefährlich. Der angehende Student ist wie ein Oxhoft Pulver durch eine Stadt mit Wachtfeuern gefahren; nimmt mans nicht in Acht, so entzündet es sich, und fliegt auf." – Nun bat er mich, ich sollte ihn morgen noch eine Strecke begleiten; und wie freute der Herliche sich, als ich ihm sagte, um dies Anerbieten zu machen, sei ich gekommen, und hätte nur bei ihm den Augenblick der Festigkeit abgewartet, um von der Trennung ansagen zu können. "Nun Gottlob", sprach er, "so soll ich mich doch nicht von allem auf Einmal losreißen", und so schlossen wir einander herzlich in die Arme. Den folgenden Morgen begleitete ich ihn die Stunde bis Neckargemünd, und unterwegs erzählte er mir köstliche Dinge aus seiner Jugend- und Jünglingsgeschichte. Wir stiegen aus, um ein wenig zu frühstücken. Ach! ich konnte mich nicht trennen; ich musste wieder einsteigen. Wir kamen nach Wiesenbach, eine Stunde weiter; ich konnte nicht loskommen, auch hielt er die ganze Zeit über meine Hand fest. Endlich musste denn doch geschieden sein. Als ich aus dem Wagen gesprungen war, und den Schlag zugemacht hatte, foderte ich noch einmal seine treue Rechte, um den Kuß der Ehrfurcht darauf zu drücken. Ach! nun rollte der Wagen fort, und ich schäme mich nicht, es zu gestehn – ich weinte heftig. Abeken, es ist ein seltner Mann; aber nicht jeder lernt ihn so kennen. Wer kommt, den großen Mann in ihm zu sehn, und nicht zugleich den guten, für den ist er gar nichts; ich hab' ihn in solchem Fall recht absichtlich als einen echten Philister reden hören. Wenigen giebt er sich hin, diesen wenigen aber ganz. O wie glücklich bin ich, einer der wenigen zu sein. Er sagte mir – und nie lügt oder schmeichelt er – meine Recensionen, und später meine Briefe hätten ihn so angezogen. Er hätte mehrmals seiner Frau gesagt, ich müßte ein guter und warmer mensch sein; und daß ers geschrieben hatte, davon sah ich viel Nachklänge in den Briefen seiner Frau. Ich bin dankbar gegen die Vorsehung für das Geschenk, aber ich wünsche dies Glück auch anderen. Warum muß Ich gerade vor Dir, vor |4 Abeken, vor Gries den Vorzug haben? – Schon in diesem Gefühl, das xxx wahrlich recht warm entquoll, kannst Du sehn, daß ich nie meinen alten Freunden ungetreu sein werde , was Du auch nie geglaubt haben wirst.
Ich bin gewaltig viel um Jean Paul gewesen; und man hat uns daher, bald spottend, bald gutmeinend, Castor und Pollux, oder die Sympathetischen, oder die Unzertrennlichen genannt. Das machte mir gewaltigen Spaß, und noch mehr die Philister unter meinen Collegen, die von Begeisterung für höhere Naturen keine Vorstellung haben: Deren sind einige, die mich für toll halten, nur nicht in dem Grade toll, wie Jean Paul selbst. – In der Zeit, daß Jean Paul hier war, hatten es schlimm die Besucher, die grade damals in großer Anzahl herbeistürmten. Wenige wurden beachtet, alle verdunkelt, darunter der große Dichter Tieck, der übrigens ein artiger Mann zu sein scheint, und nicht mehr so giftig, wie ehemals, sondern im Gegentheil, etwas religiös. Nur ein einziger behielt neben Jean Paul seinen vollen Glanz, das war der stattliche General Dörnberg, der vor etwa 7 Wochen zum erstenmale herkam, um zwei seiner Töchter, die ehemals am rudolfischen Institute waren, von unserm Abegg reformirt confirmiren zu lassen. Noch begreife ichs kaum, wie grade zu gleicher Zeit zwei solche Männer hier sein mußten. Auch diesem Manne bin ich sehr nahe gekommen. Schon meine Mutter, die ihn in Göttingen hatte kennen gelernt, macht mich aufmerksam auf "die Anziehungskraft dieses Mannes", und da er ihr so herzlich gedankt hatte für das Gute, daß sie seiner Familie sollte erwiesen haben, fügte sie hinzu: "und wie ziert die Thräne das schöne Heldengesicht"! Ich war erstaunt, wie ich den Mann zuerst sah: solche Kraft, solche Stattlichkeit, solche Fürstlichkeit im ganzen Wesen, bei so viel Weichheit und Liebe, die aus dem schwarzen, blizenden Auge spricht, war mir noch nicht vorgekommen. He looks authority, wie Kent von Lear sagt. Mich nahm er überaus herzlich auf; er wußte, wie sehr ich mich mit seinem allerliebsten Uniko beschäftigt hatte, der noch jezt als 12jähriger mit ganzer Seele an mir hängt. Dann ward ein neues Band zwischen [fehlendes Wort?] uns Truchseß, an den ich so eben einen Mordbrief über Jean Paul hatte abgehn lassen. Truchseß schrieb mir jüngst: "Ich war schon lange Mann, als ich auf den heranwachsenden Jüngling Dörnberg mit Hofnung und Vertraun |5 emporblickte, und aus diesem Vertraun ist nachher zwischen uns die innigste Verbrüderung erwachsen. Und eins der ersten Worte Dörnbergs zu mir war, er wollte auf der Rückreise auch meinen Truchseß besuchen. Das dritte Band zwischen uns ward der gemeinsame Mittagstisch bei Emilie Heins, der Vorsteherin des rudolphischen Institutes. Du kennst mich hinlänglich. lieber Abeken, ich bin nicht vordringlich in Gesellschaften, [fehlendes Wort] zurückgezogen, [fehlendes Wort] wie Jean Paul mir einmal sagte: nicht vorlaut, sondern nachlaut.; gleichwohl hab' ich das seltene Glück, daß ich von Menschen, die ich schäze, bemerkt und hervorgezogen werde. So ging es mir mit Truchseß, zu dem ich anfangs kein Wort zu sprechen w agte, so jezt mit Dörnberg. Der zweite Tag seines Hierseins war der Tag, an dem wir Jean Paul zu Ehren einen akademischen Schmaus gaben. "An diesem muß auch Dörnberg Theil nehmen", dacht' ich. Aber wie das einzuleiten? Ich konnte ihn als Privatgast mitbringen; aber das wäre von mir höchst unbescheiden und anmaßend gewesen, für ihn nicht ehrenvoll genug. Ich ging also zu Prorector Zachariä, bat mir aus, seinen Namen in dieser Sache gebrauchen zu dürfen, und schrieb nun in des Prorector und der Gesellschaft Namen eine Einladung an den herlichen Mann. Sogleich erhielt ich eine freudige und überaus herzlich geschriebne einwilligende Antwort, die ich meiner Mutter zu ihrem Geburtstag schenken werde. Als ich den andern Tag um Ein Uhr hinkam, den lieben Dörnberg abzuholen – Jean Paul abzuholen übernahm der Prorector selbst – fand ich ihn überaus bewegt. Die Confirmation war eben beendigt, und Dörnberg sprach zu den Töchtern noch ein Wort der Liebe aus vollem Vaterherzen, wobei ihm die Thränen über die Backen rollten. Der Weg zum goldenen Hecht ist von Emiliens Wohnung fast eine Viertelstunde. Lange gingen wir schweigend neben einander, denn ich wollte sein Gefühl nicht stören dann grif er meine Hand mit Heftigkeit, und sagte: "Ich fühle wohl, ein Mann sollte Herr sein über seine Empfindungen; aber heute stürmt gar zu viel auf mich ein. Ich sollte wohl nicht in Gesellschaft gegangen sein; aber es sind Heidelberger versammelt, und denen hab' ich zu danken. Sagen Sie es der Gesellschaft, warum ich gerade heut ein stummer Gast sein muß". – In der schon versammelten Gesellschaft erregte es die lebhafteste Freude, als Jean Paul und Dörnberg erschienen, der leztre in Civilkleidern, ohne die geringste Auszeichnung. Dörnberg saß dem Prorector zur Linken, Jean Paul zur Rechten, und mir hatte der Prorector einen Plaz ihm gegenüber angewiesen, wo ich mit beiden nach Herzenslust sprechen konnte. Die erste Gesundheit ward für Jean Paul ausgebracht vom vom Prorector, die zweite vom Stadtdirector für Dörnberg. Dann |6 stand Dörnberg auf in seiner ganzen Stattlichkeit, like a descendet god, und sagte: "Ich danke; aber ich habe besseres zu erwiedern". Und dann sprach er von der ehemaligen Zeit harter Bedrängnis. "Meine Familie", sagte er, "mußte landflüchtig werden. Nirgend fand sie Schuz und Aufnahme. In Heidelberg endlich fand sie einen gastlichen Heerd. – Die Noth ist jezt zu Ende: Gott hat mich und die meinigen auf wunderbaren Pfade wieder verweiniget; und nun ist es einer meiner seligsten Augenblicke, daß ich unter meinen lieben Heidelbergern stehe, und aus Herzensgrunde für die mir erwiesenen Wohlthaten danken kann. Also Dank, Dank, ihr Theuren, und der Himmel lohn' es euch!" – Und dies sprach er mit solch einer soldatischen Kraft und Festigkeit, und dabei ergreifender, ja erschüttender Jaeigkeit, daß auch kein Auge trocken bleib. – Ach! Daß meine herrliche Mutter nicht zugegen war! – Dann trat Jean Paul auf, und sprach halb weinend, halb lachend über das schöne Heidelberger Paradies; aber dergleichen kann nicht wiedererzählt werden. Das zweite mal kam Dörnberg Mittwoch vor acht Tagen, und brachte noch ein wunderliebliches Kind von zwei Jahren mit, die unterdeß bei Verwandten gewesen war. Die nannte er mir sein Erstgeborenes aus der Ehe nach der Trauung. Diesmal blieb er 8 Tage, und wir gaben ihm manche Feste. Bei Boissarées traf er mit Dannecker zusammen, der gar nicht aufhören konnte, ihn mit den Augen des Künstlers zu beschaun. "Ich möchte ihn durchprügeln", sagte Dannecker mir leise, "so lieb hab' ich ihn". "Welch ein herziger Kopf! wenn ich nur ein halb Jahr bei ihm wäre; er sollte mir gelingen" u. s. w. Auch Jean Paul u. Dörnberg zogen sich gewaltig an: immer hatten sie beim Schmause die Hände zusammen, und küßten sich hinter des Prorectors Rücken. – Heut vor acht Tagen frühstückte Dörnberg bei mir im Freien von halb 6 Uhr Morgens bis 9 Uhr. Ich hatte mehrere dazu geladen, Hegel z. B. Gatterer, Major von Beulwitz u. s. W. auch einige ausgezeichnete Studenten. Alle ließen auf sich warten, nur Dörnberg nicht: mit dem Schlage halb 6 wir war er da, wie ein echter Soldat. Ich zeigte ihm alle Winkel unsres Hauses. Wir waren |7 ungemein fröhlich, ja ausgelassen, und rauchten – dies sei jeden gesagt – so viel Taback, daß mir wenigstens die Zunge wund ward. Nun höre und staune. Auch Thorbecke hatt' ich geladen, und der – verschlafen hatt' ers, und kam nicht. Wie man einen Dörnberg verschlafen kann! Thorb. schämt sich dessen auch ganz gewaltig. Um 9 Uhr gingen wir zu Berge, bestiegen alle Burgen und Ruinen. Doch erst muß ich nachholen, daß wir Jean Pauls Gesundheit in Kaffe mit Rack tranken, recht feierlich, und andächtig, und dann Dörnbergs, den ich den militärischen Jean Paul nannte. Hätt' ich doch nur Zeit, Dir eine von den schönen Anekdoten zu erzählen, die Dörnberg zum Besten gab – und Er ist Meister im Erzählen! Doch eine muß heraus, und mein Shakspear mag warten. Wir sprachen von Münchhausen, und Dörnberg ward im Ernste böse, als wir dessen Begebenheiten Lügen nannten "Sie finden, hohl mich der Teufel! alle unwahr", sagte er, und wir sahen uns staunend einander an, auch, weil wir ihn fluchen hörten, was so gar nicht zu seinem übrigen Wesen stimmte. "Ich will eine Geschichte erzählen", fuhr er fort, "die ich selber erlebt habe. In einer Schenke bei Zelle erscheint ein Bauer, von so abscheulicher Häßlichkeit, daß sich alle entsezen, sezt sich an einen Tisch, und fodert einen Krug Bier. Die andern berathschlagen, was mit dem Unhold anzufangen sei, und wollen ihn eben zur Thür hinaus werfen; als ein Müllerknecht herein kommt, noch zehnmal häßlicher, sich dem Bauern genüber sezt, und auch Bier fodert. Kaum erblicken sich beide, sogleich haben sie einen Zank an, ohne äußeren Anlaß, bloß aus gegenseitigem Abscheu. – ""Pack Dich"", schreit der Bauer, ""oder ich reiße Dir ein Bein aus"." – ""Du verfluchter Schwerenöther"", ruft der andere, ""ich packe mich nicht; und reißest du mir ein Bein aus, so freß ich dich auf mit Haut und Haar."" Nun gehn die Schimpfreden von neuem an, und fallen so dicht und hagelschwer, daß allen die Haare zu Berge stehn. Mir selbst (sagte Dörnberg, mit sichtbaren Spuren des Grauens im Gesicht) mir selbst ward schauderhaft zu Mute. Endlich läuft der Bauer auf |8 den Müllerknecht los, und reißt ihm richtig das Bein aus. Nun geräth der Müllerknecht in die unbeschreiblichste Wut; er läuft auf seinen Gegner zu, schlägt ihm die Klauen in die Schulter, und fängt zu fressen an. Von oben an frißt er, und immer tiefer frißt er, und immer tiefer; und wie er den ganzen Bauer aufgefreßen, frißt er noch obendrein das Bein auf, in der Meinung, es sei des Gegners Bein". Wie wir über den köstlich vorgetragenen Schwank laut zu lachen anfingen, ward Dörnberg recht zornig. "Es ist die reine Wahrheit", sagte er, "ich kann sie beschwören, und will sie jeden Augenblick mit dem Degen beweisen." – Das ging uns über den Spaß hinaus. Wir sahn ihn und uns verwundert an. – Da fing der Schalk laut an zu lachen. Nicht sich hatt' er gegeben, sondern einen Kriegskameraden; der bei Waterlo geblieben, auf das täuschendste n achgemacht. Der war ein zweiter Münchhausen gewesen und hatte alle seine Lügen geglaubt, beschworen und verfochten. – Noch eins höre aus seinem Munde, und denke Dir, wenn es möglich ist, die Grazie eines anmutigen Erzählers, und ein schönes Gebehrden- und Mienenspiel hinzu. "Ei was, mit Ihren Dampfschiffen!" sagt der Oberste NN zu einem Dorfpfarrer, "wir Engländer haben ganz andre Erfindungen." (Er war NB ein Deutscher, und nie in England.) "Da haben wir z. B. Räder ohne Naben und Achse" – "Wie, was? Herr Oberster; das geht ja nicht; um was laufen denn die? – "Ei, um sich selbst, Ewr Hochwürden, "und da nun gar keine Friction statt findet, so ist ihre Schnelligkeit unendlich. – "Das ist unmöglich, Herr Oberster". – "Nicht unmöglich, Ewr Hochwürden, kommen Sie, ich wills beweisen." er fodert darauf ein Lineal, zwei Zirkel, ein Logarithmenbuch, und Schreibmaterial. Mit einer Unendlichkeit von x und y und plus und minus, und allen möglichen Winkeln und Logarithmen wird nun ein recht überzeugender Beweis geführt. Der Pfarrer steht erstaunt da über die Richtigkeit der Entdeckung. "O, das ist noch nicht alles, Ewr Hochw. |9 Ihnen wird doch bekannt sein, daß wir in England Läufer haben, die in zwei Minuten eine englische Meile laufen" – "Ja, Herr Oberster" – Nun denn, so ein Läufer, vor einen Wagen mit solchen Rädern gespannt, zieht den Wagen in zwei Minuten eine Meile fort. – "Wie, wa – Herr Oberster?" – Wie ich Ihnen bewiesen habe, es findet ja keine Friction der Räder statt, es ist also gar keine Hemmung der läuferlichen Schnelligkeit da" – Ja, so, Herr Oberster." – "Nun denn, spannen wir zwei Läufer vor, dann verdoppelt sich die Schnelligkeit, und der Wagen macht die Meile in Einer Minute! – "In Einer Minute, nein das ist unmöglich; ich dächte der erste Läufer brauchte zwei Minuten, und der zweite ebenfalls". – "Ja jeder für sich; aber beide zusammengenommen, da ist der Fall ein ganz anderer. Kommen Sie, ich will es Ihnen allgebraisch berechnen". Nun wird ein neuer Beweis geführt, schlagend und überzeugend. – Also, Herr Pfarrer, wenn man 4 Läufer vorspannt, in wie viel Zeit wird der Wagen die Meile machen." – "In 30 Sekunden, Herr Oberster". – "Und spannt man acht Läufer vor?" – "Dann in 15 Sekunden" – "Richtig, Ewr Hochwürden. Ja, in der That, es ist eine seltene Erfindung; und besonders auf Reisen und im Kriege von größter Wichtigkeit. Der Herzog von Clarence z. B. wollte vor Kurzem auf einem solchen Gespann von London nach Glocester reisen. Und kaum hatt' er sich heut Morgen eingesezt, sogleich war er Gestern Abend schon angekommen." Dörnberg sagte, auch nicht eine Miene habe sich beim Obersten zum Lachen verzogen; der Pfarrer aber sei nach Hause gegangen, um über die Erfindung tiefer nachzudenken. – Als wir um 11 Uhr etwas müde wieder in die Stadt ankamen, gingen die meisten von uns ins kalte Neckarbad. Den Nachmittag, nachdem wir tüchtig gegeßen, gings nach dem Wolfsbrunnen, wo wir bis 9 Uhr Abends blieben. Und so machten wirs alle Tage, und wer weiter wollte, dem standen Dörnbergs Prachtpferde zu Gebot. – Ach, wie gern wäre |10 ich dem Mann auf die Bettenburg gefolgt. Dörnberg, der immer reitet, trug mir sein drittes, recht sanftes Pferd an, und bat mich auf das dringendste, ihm zu folgen. Das ging nun einmal nicht. Aber am 18. Sept. abends, und den ganzen 19 hindurch, waren meine Gedanken nur auf der Bettenburg, und Jean Paul, dem ich grade an dem Tage einen langen Brief schrieb, wird davon zu lesen haben. Truchseß hat von mir schon im Voraus eine lange Schilderung des Dörnbergtages versprochen. Vielleicht sieht ihn mein Bruder in Jena, und den besonders wird Dörnberg liebreich in die Arme schließen, weil er Lehrer seiner Frau und der Kinder war. Frau von Dörnberg mit den Kindern ist zu Wagen auf die Bettenburg gefolgt, und konnte noch einen Tag länger bleiben. – Mit Jean Paul hab' ich ein rendezvous auf der Bettenburg zu Michaelis 1818 verabredet. Aber es kommt besser. Abraham und ich holen ihn von Baireut ab, und bleiben erst einige Tage bei ihm. Auch die Frau soll uns begleiten, und so Gott will, auch die Kinder. Und dann soll ein Wonneleben auf der Burg sein, – Was gäbe ich drum, könnt' ich Dir das schöne Bild von Jean Paul mittheilen, wie es mir im herzen wohnt. Ich fühle mich durch ihn zu jeder Arbeit, zu jedem Guten gespornt. Mein Shakspear soll es erfahren, an dem er gewaltigen Antheil nahm. Immer kam er, und wollte neue Falstafscenen lesen, und über alles sprachen wir. Nun fodert er, für seine Kritiken, auch von mir welche, und zwar sehr specielle, so oft er eines seiner Werke neu auflegt. Er sagte meine umständlichen Kritiken über Wagners Tod Jesus, den er nach mir recensirte, hätten ihn lüstern gemacht. Ich hab' ihm im voraus gesagt, ich würde manchmal scharf u. derb zufahren; aber so will ers eben, und ich weiß nächst Lessing keinen, der so sehr auf Ergründung der Wahrheit ausging als meinen Vater und ihn. – Jean Paul ist 53 Jahr, ziemlich stark, aber in guter Proportion zu seiner Größe, seine Gesundheit ist eisenfest, Launen scheint er gar keine zu haben, ich sah ihn immer sich selber gleich, nie müde, immer |11 lebendig, ohne das mindeste von Krampfhaften. Wenn er auch erst um 2 Uhr zu Bette gegangen war, um 7 Uhr fand ich ihn schon wieder auf, manchmal früher, und immer war er zu Gespräch und Arbeit aufgelegt. Ich lies ihn oft fortarbeiten, und las oder schrieb mit ihm an Einem Tisch. – Daß die Frauen so vernarrt in ihn sind, ist mir jezt sehr begreiflich; sein ganzes Wesen ist geeignet, dem weiblichen Geschlecht zu gefallen, so weit ein Mann darüber urtheilen kann, diese Seelengüte, diese Freundlichkeit, und Geselligkeit, dies muntere, jugendliche Wesen, den alles kleidet, was er unternimmt. Sophie Paulus ist ganz in seiner Gewalt. Ich hielt es gleich anfangs für meine Pflicht, ihm einen warnenden Wink zu geben, weil ich fürchtete, sie würde oder könnte an ihm zur Ottilie werden. Die Bitte war von meiner Seite überflüssig, denn nie spricht Jean Paul ein verführerisches Wort; aber ich kannte ihn damals noch nicht so recht. Seine Küsse sind die Küsse eines edlen Bruders oder Vaters, und seine Frau könnte bei jedem gegenwärtig sein. Wir haben darüber in traulicher Stunde umständlich gesprochen. Das glaube mir, wenigstens zwanzig Frauen könnte Jean Paul bloß in Heidelb. bekommen, wenn er Witwer wäre. Und in Osnabrück würd' es nicht anders gehen.
Auch mir schreibt Gries nicht und ich habe doch treulich dafür gesorgt, daß alle Mordbriefe (ohne Dichtung, denn Jean Paul hat fast alles gelesen) ihm und den Schwestern zukamen. Den alten Truchseß hab' ich ganz elektrisirt. Jezt ist seine Sehnsucht wenigstens an Dörnberg gestillt, der mir versprechen mußte und gern versprach, er wolle an Truchseß Tafel meine Eltern u. Jean Pauls Gesundheit ausbringen.
Von Göthe hab' ich lange nichts gehört; denn auch die Schwestern sind stumm. Das 2te Heft vom Main u Rhein hab' ich mit großem Vergnügen und zu mir nicht geringen Belehrung gelesen. Boisserées sind traurig darüber, und trösten sich, Mayer könne das all geschrieben haben. Daß |12 Mayer Antheil am Aufsaz hat, läßt sich schon aus dem W. K. F. vermuten, aber wer mag Göthe verkennen, in dieser ruhigen Klarheit und echt prophethischen Humanität. Leben denn Tiecks und der Schlegel Poesien noch? – Jean Paul, den ich danach fragte, wußte mir über August Schlegel die Frage nicht bestimmt zu ebantworten. Auf Tiecks Werk über Shakspeare bin ich begierig: ich erwarte viel gutes davon. Schreibst Du denn noch Kritiken über Shaksp.? ich wünschte das.
Meine Eltern komen wohl erst in drei Wochen zurück. Meine Mutter war in Lübeck unpäßlich. Nun ist alles gesund.
Ich bitte Dich herzlich, lieber Abeken, nimm bei Deinem nächsten Briefe meinen vorigen zur Hand. Mir ist, als hätte ich einiges gefragt, wenigstens hab' ichs wollen.
Dieser Brief ist ein langer für meine jezige Zeit. Der Shakspear frißt alle, und will doch nicht ganz satt werden an der magern Göttin.
Hast Du Klingemann den Othello gesandt? Thu es ja! Ich habe Klingemannen seinen schlechten Don Quixote freundlich vorgerückt.
Thorbecke will, so viel ich weiß, ein Jahr hier leben. Ich sah ihn manchmal im Badischen Hof, wo ich in dieser Zeit mal die Woche zum Abendessen erscheine. Ohne Talent ist er nicht, aber schendlich dick. Gegen den bin ich ein Alräunchen. Ich nannte ihn einmal gegen Jean Paul den phlegmatischen Maler des Entsezens, worüber er herzlich lachte. Jean Paul und ich trafen in Manheim mit ihm u. zwei Herrn von Wengraf, tüchtigen Burschen, im Wirthshause. Da tranken wir eine Flasche Wein zusammen. Ihm schien wenig an Jean Paul gelegen zu sein. Ich halte Thorb. für einen guten Menschen; aber ein Amt sollte er nehmen, wie ich ihm schon mehrmal gesagt.
Herzliche Grüße Deiner lieben Frau, und Küsse den Kindern. Die Schwestern Julchen und Lottchen grüße herzlich; denken sie noch meiner. Iden schilt die Haut voll, daß er mir nicht schreibt, und dann grüß ihn herzlich, so auch seine Frau. Gestern habe ich Bohnen schneiden lassen, heute werden Pflaumen gedörrt. Jean Paul hat eine große Freude an meiner Hausväterlichkeit, u. meint, nichts fehle mir, als eine Frau. Abeken, woher krieg' ich eine u Ist nicht in Osnabrück eine, die mich haben will?DeinHeinrich
Zitierhinweis
Von Heinrich Voß an Bernhard Rudolf Abeken. Heidelberg, 20. und 21. September 1817, Sonnabend und Sonntag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1694