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Bayreuth, 24 Dec: 1806.

Mein Thieriot! "Ich traue unserm Thieriot "Festungsbau" für die Seinigen, aber nicht für sich zu. Nur als Geiger kann er die Stelle nicht ausfüllen."

So schrieb mir unser Uhlfelder, am 15ten dieses, als ich ihm Deinen Brief mitgetheilt hatte.

Und er hatte schon wieder Recht.

Du bist wohl recht froh, daß Du diese Stelle wieder vom Halse hast.

Wangenheim, ich, Du und alle Menschen, die Dich gerne glücklich sehen möchten und versorgt, dauern mich.

Der vielverlangende Brief des Herrn v. Roeder gefällt mir auch nicht für Dich; aber er ist doch mehr nach meinem Gefallen, als der war, den er beantwortet .

Ich war väterlich wild, als ich die Abschrift Deines Briefes an Roeder bekam.

Noch in derselben Empfangshalben- |2 stunde schickt' ich diese Abschrift an den guten, wohlmeinenden Wangenheim ab, mit der Bitte, die schädliche Wirkung die dieser Brief haben müßte schleunigst zu vernichten.

Daß Du die Stelle nicht wolltest, das konnt' ich nicht wissen, denn da mißfällt mir Dein Brief noch mehr; weil dessen Dasein nun nicht nur mehr Entschuldigung bedarf, sondern noch mehr dessen Wie.

Ich hätte Dir vielleicht gar nicht geantwortet, hättest Du so an mich geschrieben.

Glaub mirs daß ich es weiß, daß es Dir schwer werden wird von der Stelle in eine zu gehen.

Du wirst mirs um so mehr, wenn ich Dir gesagt haben werde, daß ich Dir täglich eine Versorgung wünsche, ohne das Herz zu haben für eine zu sorgen, denn ich möchte Dir nicht leicht eine Stelle und Dich nicht leichter einer empfehlen, weil Ihr beide Eure Noth mit |3 einander bekommen würdet.

Aber diese Stuttgardter ergriff mich und ich besonders freudig für Dich, weil Du daselbst nicht allein, sondern an den Händen einiger Freunde hättest in sie gehen und in ihr stehen können.

Dann hätt' ich Dir auch einige Menschen daselbst geben können, die es gut mit Dir gemeint haben würden.

Ich rathe Dir nicht diese Stelle – aber ich rathe Dir Rath anzunehmen.

Es ist etwas beruhigendes im Berathen mit Andern und ein wahres Wort: wem nicht zu rathen ist, dem ist nicht zu helfen.

Von allen Menschen – von Weibern und Kindern müssen wir Rath verlangen, den fremden Rath durchaus zu erst, vor! dem unsrigen überlegen und oft nicht so streng als den unsrigen.

Siehst Du nicht sehr oft meine Sache besser ein als ich? warum sollte denn die herrliche nicht |4 oft Deine Angelegenheit besser sehen, als Du?

Wo ich andern Rath befolgte, da that ich nicht immer am besten; aber da, wo ich mit andern zu Rathe ging, da ging ich meistens auf guten Wegen.

Der Rath eines Weibes, ist mir – weil die Weiber Alles anders sehen wie wir – oft bei nahe lieber, als der eines Mannes.

Nur untersuche ich den weiblichen Rath streng, wenn er die Sache eines Weibes betrift, und noch strenger, wenn er wider ein Weib gerichtet ist.

Zum Nichtsthun braucht man freilich wenig Rath; aber das ist auch wenig gethan und doch viel falsches.

Nichtsthun heiß ich aber Dein Thun – wenn ich bedenke, was Du thun könntest, obgleich Du viel thun wirst.

Im Dienste – gleich viel wessen – nützlich und frei zu seyn und neben ihm es zu bleiben, das ist mein bürgerliches |5 Glaubensbekenntniß, das ich natürlich auf meine Kinder mit übergehen lassen möchte und vorderhand auf meinen einzigen, guten Sohn im Musikhause.

Ad vocem Musik. Hast Du die N. 45 und 46 des heurigen Jahres der musikalischen Zeitung gelesen ?

Ja, sagt' antwortete ich, unserm Richter, als er mich fragte, ob Du wohl ihn meintest, mit dem gewißen Briefwechselston.

Wir sprachen aber hernach noch einige Minuten vergebens darüber, denn wir wurden nicht Eins.

Hab Dank für die köstlichen Beilagen Deines Bruders und der Hofmann .

Dein Bruder hätte aber leicht etwas nothwendigeres – obgleich im allgemeinen nichts wahreres – schreiben können, als sein "sind aber" bis so weit als es rein jetzt Vorsicht für Dich lehren sollte.

Ich setze die Redlichkeit Deines |6 Bruders so außer Zweifel, daß er um sein ganzes Vermögen kommen könnte und Du doch keinen einzigen von Deinen (3000) sächsischen Hilfstruppen verlieren dürftest; denn jedes Aber ist nicht Einschränkung einer "unbezweifelten Redlichkeit" sondern klarer Widerspruch.

Nur der gemeine Kaufmann setzt sein Zutrauen auf die eisene Geldkiste des andern; Dein Bruder und Dein Vater müssen ein eiseneres, ganz anderes, Zutrauen gegen einander haben und jener muß glauben, daß ich meinem Sohn schon selbst über seinen Vater predigen würde, wenn dieser es für nöthig hielt und fände und den Sohn in entferntester Gefahr und in der Wissensnoth, |7 in der ihn nur der Bruder, nicht der Vater glaubt.

Dem ohngeachtet sollten Dein aelterer Vater und sein jüngerer Sohn Tage bei Deinem aeltern Bruder nehmen (nicht Stunden), denn sie könnten vieles von ihm lernen und es gebrauchen.

Wohl dem der Freude an seinem Sohn erlebt!

Den größten Theil meiner Jahre hab' ich aller Wahrscheinlichkeit nach überstanden; willst Du mir also mehr Freude machen: so mache Dich und Deine Fertigkeit fertig.

Hab nochmals Dank, mein Thieriot, für die zurückgehenden Beilagen .

Halte vergnügte Feyertage, nichts als vergnügte Arbeitstage und halte und behalte Deinen

Emanuel

Zitierhinweis

Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 24. Dezember 1806, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1750


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin V, 138
2 Dbl. 8°, 7 S. Auf S. 5 aoR vfrH mit Bleistift: 24 XII 1806.

Überlieferung

Hk: ehemals Slg Apelt,
1 Dbl., 4 S. Auf einem beiliegenden Zettel von Emanuels Hand: Der rathende, gute Bruder ward unglücklich und der jüngere - mit!

D: Abend-Zeitung, Nr. 33, 8. Februar 1843, Sp. 260–262 (gekürzt).


Korrespondenz

B: Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Offenbach, 14. und 20. Dezember 1806, Sonntag und Sonnabend
A: Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Offenbach, Ende Dezember 1806