Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



|1
Bayreuth, 20. Jul. 1807

Mein lieber Thieriot! Ich habe zwar alles, was ich Dir zu antworten habe, eben dahin geantwortet, woher Du geschrieben und habe Dir eigentlich nichts zu antworten; aber ich will Dir doch auch einige Worte schreiben und Dich loben und auch nicht.

Loben will ich Dich, daß Du in Stuttgardt bist, wie Dir der gute Wangenheim es attestirt ; loben werd' ich Dich, wenn Du mit Dir Dich entzweiest und Dich mit Wangenheim vereinigest .

Ich denke es giebt Perioden, besonders im Jüngling, wo man besser daran thut, aus sich heraus in einen Freund hinein zu ziehen und so eine Seelenwanderungen hier schon vorzunehmen – als so unbeholfen, seelenallein zu stehen und herumzugehen.

|2 Hätt' ich in dieser meiner Periode, gehabt Einen Richter, Einen Bruder Jaques, Einen Wangenheim, einen Emanuel, wie Du dieses Quartett hast und noch so viel mehr – Du solltest sehen, wie ich mein menschliches Solo aus dem Notenbuch des Lebens vom Blatt wegspielen wollte als Virtuos!

Aber Du willst, daß alle, Geiger oder nicht, nach Deiner Geige geigen und das verstimmt Dein noch nicht ausgespieltes Instrument immer mehr.

Laß immer einige Zeit aeltere – wenn auch nicht bessern Virtuosen auf Dein Instrument spielen – obgleich nicht mit ihm – und wüßten sie's auch nicht gleich recht zu nehmen, so daß sie Dir mehr Dur- als Moltöne hervor brächten, ja vielleicht bisweilen eine Saite von der unrechten Seite bestrichen, ja selbst |3 eine absprängten, laß es gut seyn und bleibe Du auch so.

Sie werden es Dir wieder stimmen und Du wirst es und Dich selbst wieder erkennen!

Wenn Du nach Stuttgardt gehest, wenn Du handelst, wenn Du nur nicht stehen bleibst, dann sollt' ich freilich zufrieden seyn und mein Lob nicht aufhören lassen; aber ich muß doch eine kurze Pause machen und Dich nicht loben, für Deine gar zu kurzen Briefe.

Könntest Du diese wohl vertragen, so lange wie ich?

Oder soll ich Dir vielleicht schweigen?

Wenigstens würd' ich Dich dann nicht so oft täuschen wie Du mich.

Kann man dem Freunde von Fürth |4 aus schreiben "Deinen Brief hab' ich" und kann man ihm von Stuttg. antworten: "Dein Brief ist bei mir"?

Man muß nie nehmen im Geben.

Und mein Herz will dem Deinen geben nicht nur, von dem Deinen will es annehmen und gegeben haben.

Wenn ich auch mehr – das weißt Du – auf den Geist, als auf den Körper d. h. mehr auf den Freund als auf dessen Worte Anzahl sehe: so verlang' ich doch für Jeden das Seine und – verlang' ich für mich schon am wenigsten, doch nicht zu wenig und – zu lange schon erhielt ich nichts als das von Dir.

Wisse daß Du der Kunst, dem Wissen, der Liebe und der Welt und mir gehörst und bleibe uns lange, immer!

Emanuel

Zitierhinweis

Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 20. Juli 1807, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1766


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage

H: BJK, Berlin V, 138
1 Dbl. 8°, 4 S.

Überlieferung

Hk: ehemals Slg. Apelt,
1 Dbl. 8°, 4 S.

D: Abend-Zeitung, Nr. 35, 10. Februar 1843, Sp. 276f.


Korrespondenz

B: Von Paul Emile Thieriot und Karl August von Wangenheim an Emanuel. Stuttgart, 26. und 27. Juni 1807, Freitag und Sonnabend

Der Brief wurde eingeschlossen in den Brief von Emanuel an Wangenheim vom 20. Juli 1807 und zunächst zu Jean Paul geschickt, der am 21. Juli 1807 an Emanuel darüber schrieb: "Ihre beiden Briefe sind die schönsten, die ich seit langem gelesen, sogar von Ihnen. Ihrem Muttersöhnchen sagen Sie jede Wahrheit in zartester Hülle." Danach ging der Brief nach Stuttgart und wurde schließlich, weil Thieriot schon abgereist war, ihm von Wangenheim am 1. August 1807 mit anderen Briefen nach Karlsruhe hinterher gesendet.