Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



|1
Stuttgart den 6 August 1807.

Es ist gut, lieber Emanuel! wenn Ihnen mein Wort Freude macht, dem ich, meiner selbst wegen, gern Worte zugebe, und wenn Ihnen diese den Unmuth mildern, den gewöhnlich eine fehlgeschlagene, liebgewonnene, Erwartung nach läßt. Ich bin nicht glüklicher gewesen, als Sie. Ihr Wunsch und meine Hoffnung für Thieriot sind abermals so gut, als vereitelt. Nicht, weil die äußeren Umstände nicht günstig gewesen wären – nein! diese waren es sehr – sondern weil Th. sich nicht entschließen konnte, von der Gelegenheit, die gut und erlaubt zugleich war, für die Kunst und sich selber den rechten Vortheil zu ziehen. Weit davon entfernt, unter allen Umständen den Virtuosen tadeln zu wollen, der seine Freiheit – wenn er sich selbst klar ist, was er damit machen will – nicht um 600 f jährlicher Besoldung von einem Herrn aufopfern will, bedauere ich nur, daß unserm Freunde – wenn ich nicht sehr irre – diese, in Selbstbestimmbarkeit liegende und Bestimmtheit resultirende, Klarheit fehlt. Er hat die Stelle fast gesucht, mit dem Zurükschieben der gebotenen so lange gezaudert, und endlich doch, beinahe furchtsam, Nein gesagt – so, daß ich, leider! beinahe nicht mehr zweifle: er bestimme sich nicht selber, und sey von dem wilden, nichts thuenden Streben nach Großem, aber Unbestimmten, noch nicht zurükgekommen. Auch scheint er mir sehr, vielleicht zu abhängig von einem weiblichen Wesen , das wahrscheinlich viel, aber unglüklicherweise vielleicht gerade in seinem Falle ist, nämlich nicht recht wis- |3 send, was es mit sich anfangen soll, und wofür es lebt, daher nur suchend, nicht findend. Es ist freilich nur in sehr ruhigen Augenblicken (nach den Gewittern des Lebens) – mir wenigstens – möglich, – häufig vielleicht aus Unkunde der eignen, noch unbekannten und ungenuzten Tiefe, und dann auch aus jugendlicher Eitelkeit, und endlich aus einem evangelischen Grunde, ich meine das Gleichniß vom Balken im Auge des Nächsten – sich zu überzeugen, daß gerade der am meisten für die Menschheit thut, der, anspruchslos und es fast aufgebend, auf und für sie nach Außen zu wirken, sich begnügt, sie in sich selber recht rein auszubilden. Und doch wird man, ohne diese Ueberzeugung, aus einem Bilderstürmer, selber ein herabgestürztes Bild, oder gar ein Bilder- u Götzen- Diener.

Ich hatte, nachdem ich mehr zugeredet, als ich sonst wohl pflege, alles Zureden aufgegeben, weil Thieriot nur fragmentarisch, und auch dieß zu spät, offenherzig gegen mich gewesen, und mich sein Thun oder vielmehr Nichtsthun und deßen Gründe mehr errathen, als entziffern ließ; da kam Ihr Brief , und ich schrieb ihm , der mich, ohne einen Entschluß gefaßt oder wenigstens ausgesprochen zu haben, verlaßen hatte, noch einmal über den sehr besprochenen, aber nie erschöpften Gegenstand. Doch erwarte ich nunmehr auch von diesem Briefe nichts für meine Wünsche, da ich inzwischen sein bestimmtes Nein erhalten , obgleich noch nicht an die Behörde abgegeben habe. Er schreibt mir von Offenbach: |3 "Schon bin ich nun drey Tage ein Lügner. (weil er nämlich seinen Entschluß um 3 Tage später kund that, als er versprochen) Man kann eben nichts versprechen, was sich im Innern widerspricht (einen Entschluß zu faßen?) Ich kann mich nicht entschließen, diese Stelle anzufaßen, von der nicht auf lange gehalten zu werden – mich vielleicht nach einem Vierteljahre mit dem Rufe eines Dienstwechslers zurückzuziehen – mir ein Trost wäre (und doch, behauptet er, würde er unbedenklich eine Schreiber- oder Schulmeister-Stelle – beide vielleicht ohne Beruf u Talent – annehmen) Sie und Herr v. Wächter erschwerten es nur unendlich dieses Nein zu sagen u. s. w."

Am Ende sagt er noch: Auf Stuttgart hoff ich noch immer – schreibe bald Ihnen mehr!

Auch ich habe noch eine kleine Hoffnung. Sie liegt in dem, unter gewißen Voraussetzungen gemachten, Erbieten, seine Freundin zu mir oder vielmehr zu meinen Kindern zu nehmen. Sie sollen den Erfolg wißen.

Wohl dem, der dem – von Ihnen so schön modificirten – Beispiele des bescheidenen Mains folgen darf! Wohl Ihnen!

Nur durch Sie konnte ich – und ich danke Ihnen sehr dafür – erfahren, daß Richter u die Seinigen wohl sind . Ich weiß wohl, daß er sich weniger an die Menschen schließt, als an ihr Abstract.

Wer dieß schrieb, verstand nichts von mir und von – sich. Ich habe heilige Zeugen für das Gegentheil – Emanuel, meine Kinder, u. was ich liebe, u. jeden armen Bettler menschen und mein Herz! Aber Er eben, der mir nie zu einem Freunde hinreichte und der auch nie über die Hälfte hinaus ragt und ist in ist in diesem Falle; und erwägt es nicht, wie ich Ihn und das Recht zugleich in dem Coburger Stürmchen fest an mir behielt auf meine Costen . Aber sein übriger köstlicher Manns-Gehalt verdient es wol.
Er mag recht haben; aber ich liebe sein Recht nicht.

|4 Grüßen Sie ihn u sein Weib herzlich. Seine Kinder kenne ich durch Thieriot. Sagen Sie ihm, daß ich mich seiner Freude an ihnen innig freue. Die Natur ist mit ihnen, sey es Hygiäa u Levana auch!

Leben Sie wohl, Sie armes Landeskind und Sie reicher Mensch: Meine besten Wünsche sind mit Ihnen.

Wangenheim

Heute in der Fantasie schreib ist an Th., aber zu derb. Ich ging nicht dahin.

Zitierhinweis

Von Karl August von Wangenheim an Emanuel. Stuttgart, 6. August 1807, Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1769


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage

H: ehemals Slg. Apelt, zuletzt im Autographenhandel, vgl. Auktionskatalog J. A. Stargardt (Berlin) 673, 4.–5. Juli 2000, S. 125f., Nr. 330 (gekürzt).,
1 Dbl. 4°, 3 ⅓ S. Auf S. 3 und 4 Anm. von Jean Pauls Hand.


Korrespondenz

B: Von Emanuel an Karl August von Wangenheim. Bayreuth, 20. Juli 1807, Montag
A: Von Emanuel an Karl August von Wangenheim. Bayreuth, 17. September 1807, Donnerstag

Unter dem Datum Beantwortungsvermerk von Emanuels Hand: 17 Sept. – beantw. Auf S. 3 und 4 Bemerkungen von Jean Pauls Hand.