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|1 von Stuttgardt

Es gehört viel dazu um wohlzuthun. Das süße Gefühl des Wohlthuns ist nicht genug. Die Rede ist vom Menschenhelfer u –Kenner. Die Werke der Barmherzigkeit, sagt Türk, täuschen ihn nicht, die ohne Weisheit sind.

Ein Weltmann hätt' ich werden sollen durch die Gelegenheit und bin ein Weltmensch geworden. – Was hatte mir der arme, der ehrliche Soldat gethan, das verschämte Gesicht, das am Soldaten so doppel-schön ist – Ich stand nemlich an Wangenheims Thüre als ich die Werke der Barmherzigkeit schrieb, sagte ihm, der von der Straße kam: "Es ein miles da, der auf Sie wartet", und am Ende unseres Kurzgesprächs u. meines Scherzes daß ich an seiner Thüre eben die Worte: Werke der Barmherzigkeit schreibe – : "Nun gehen Sie zu Ihrem Kriegsmann" – Er: ich will zu meinem Kriegsmann u. zu Tische denn ich bin hungrig, – u. stieg hinauf. – Hätt' ich blos gesagt, es ist eben ein Wartender – ernsthaft das Ernsthafte gesagt, so hätte der Mann oben ein ihm dienenderes Gesicht empfangen.

So ist aber ein frivoler Ton, ein Zungenspiel in mich kommen, mein Herr worden, das keine reine Führung eines Geschäfts mehr von mir erwarten läßt.

Emanuel.

Es wird alles wie ein reißender Strom u es geht so vieles unter. Möchten wir das wenige retten.

Was ist Opfer wo das Herz erhoben wird durch das Errettete. Glaubst Du, daß ich hier still säße, wenn ich wüßte, wie die zum Abgrund eilende Moralität u. Kunst durch Aufhalten aufzuhalten wäre? – Durch etwas Neues, durch die Ausbreitung eines jungen gesunden Stammes, der das Unkraut tödtet, muß es geschehen. – Die Menschen sind ein Unkraut, aber wo man vor Unkraut keine sieht, da muß man wegsehen, um nicht das Giftkraut des Hasses in sich zu saugen.

Ich war auf dem Wege. Nicht blos Lesen, treue Berichte von Pestalozzi hatten mich mit Muth erfüllt. – Hiezwischen ist Unkraut. Aber noch ist mir ein Tropfen Waßer für die neue reine Pflanzung getragen, oder wenn ich mich hierin irrte, der guten Wurzel Pestalozzi gleiche Säfte zugeleitet haben, mehr werth, als auf tausend Erdbällen der gröste Geiger geheißen zu haben, Opfer u Leiter der Verziehung zu seyn.


Em. wenn Du meine Ungeduld nicht selbst durch mein Schweigen durchgehört hast, so weiß ich mir nicht zu helfen.

Meine Stimmung, wenn ich zu etwas mithelfen kann, selbst im hiesigen Orchester, wenn ich zuweilen vergeßen kann, daß es keines für mich ist u. daß ich wider meinen Willen u mein besseres Wißen 4 Monate darin sitze u versäume wo ich sollte und mir selbst zu helfen – ist Ernst und Freude. Meine Stimmung, mein Herzensschlag, wo ich irgend etwas vor Andere Allein zu spielen od. nur bemerkt zu unternehmen habe: Angst und Unandacht.

Wer mich triebe jetzt zu Pestalozzi zu gehn, würde mich gleich wieder meine Kraft zweigen wollen u. dadurch an mir zweifeln machen. – Ich fühle die Nothwendigkeit, ich leide an der Entbehrung, durch etwas gemeinschaftlich angegriffenes mich zu vergessen, die liegende Kraft langsam wieder zu beleben.

Durch Schmerzen will ich gehn, aber der Schmerz den mir Dein durch mich verschuldetes Misverstehen macht, scheint mir nicht dazu zu gehören.


Bisher erfuhr ich nur die Nothwendigkeit einen Plan zu haben, was hilft das aber mir, wenn nicht nur in mich keiner kommt, sondern auch planlose Hände mich hin u. her regen. Wenn ich keine Vollkommenheit für mich erreichen kann, so wünsch ich daß ich gleich zu einer diene.


Es soll keine Arbeiten auf Instrumenten geben, die Kunst braucht keine Arbeiter, das Höchste was zugestanden wird, ist Balgtreten u Instrument-tragen, die Uebrigen müßen Freie seyn – in unserem Staate.

"Aber der Gang unserer Kunstbildung ist: Anfangen mit unrichtigem Anschauen u krummem Bauen, dann Niederreißen u noch zehnmal krumm bauen, bis endlich u. spät das Gefühl der Verhältniße zur Reifung gelangt, dann kommen wir endlich auch an das, womit wir anfangen sollten: ans Ausmeßen."

Lies mir nur p. 275 fgde in: Wie Gertrud ihre Kinder lehrt, Emanuel. – 279: in untergeordneten Mitteln der Kunst in Zahl u. Wort, einseitig zu künsteln.

O lies – was Du längst weißt, was wir wißen, das weiß Pestalozzi und hat einen Weg gefunden, oder glaubt er habe – ist denn der Weg nicht sogleich der Untersuchung werth, u dann jeder Batzen darauf zu wenden – Oder weißt Du einen?

Nimm mir doch nicht Alles für Witz Emanuel, ich bitte Dich – ich mein' es ja nicht so –


Verwirrt Dich jede Gegenwart. Kannst's nie faßen daß etwas da ist. – Müßt ich wieder fühlen als David da war – Wie stand die heitre Größe des Jungen meinem Stottern gegenüber u was ist seine gegen Dich?


Was ist der Himmel, was ist des Himmels Freude? Die Erde wär es wenn alles an seinem Orte stünde.

Zitierhinweis

Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Stuttgart, März (?) 1808. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1794


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Textgrundlage

h: BJK, Berlin V, 138
Briefkopierbuch der Briefe Thieriots an Emanuel, H. 2, S. [26]-[30].


Korrespondenz

A: Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 25. April 1808

Zur Datierung: Vor dem 6. April 1808, dem Datum des im Briefkopierbuch folgenden Thieriotbriefes. Im Brief ist von einer viermonatigen Arbeit im Stuttgarter Orchester die Rede. Thieriot hatte die Stelle Anfang November 1807 angetreten, also könnte der Brief im März 1808 geschrieben worden sein, als die Pläne, nach Yverdon zu gehen, zu reifen begannen.