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Bayreuth, 29 Aug. 1810

Mein Thieriot! Erinnerst Du Dich noch meines jüngsten Briefes ? Ich nicht, denn er muß schon sehr alt seyn.

Von Dir hab' ich drei so genannte Briefe und also Drei so genannte Vorwürfe von mir, davon der aelteste sich vor Ostern datirt.

Eben las ich Deinen braven Ruckstuhl noch einmal, Dir zu Dank.

Wenn man nur mehr lesen könnte von ihm und Dir mehr danken!

Dich habe ich nach Weimar gehend geglaubt.

Schweigend sah ich Nachrichten von Dir entgegen.

Nun da ich weiß daß Türk, auch die Mützewall nicht nach Weimar gehet, denk' ich Du bleibst auch weg; aber wo?

Hab' ich Dir erst über uns alle recht ausführlich Bericht erstattet, dann sei so gut und gieb mir auch etwas von Deinem und der Hofmann Leben und Wirken und Vorsätzen.

Mir ist es, als hätt' ich es Dir auch geschrieben, daß Euer Institut zu viel Lern- und zu viel Lehrköpfig wäre. Und überhaupt bin |2 ich mit dem, was Du mir von Pestalozzi geschrieben , nicht so wohl zufrieden, als viel mehr stolz darauf, weil ich Dir beinahe dasselbe über ihn und das Institut auch, nur mit andern Worten, längst geschrieben haben muß.

Wär' ich nur einmal so weit, daß ich nicht mehr Dinte und Feder und Papier brauchte, um mit Vater Pestalozzi und der Eva über Euch selber und mich sprechen könnte zu können.

Deine ächt- und rechtgläubige Eva giebst Du mir zwar am deutlichsten, da ihre eigen Seelen-Worte und Geistes-Ab- und Ausdrücke Du mir mittheilst; aber über Alles möcht' ich lieber ihr mündliches Urtheil haben, weil mir immer noch ein richtiges Bild von ihr abgeht.

Grüß mir sie recht schön und recht herzlich und recht freundlich freundschaftlich, denn auch ich hänge "menschlich an einem Gruß".

Ich – ich will bei mir anfangen – bin gesund und muß fleisig seyn.

Daß wir bairisch sind , das weißt Du vielleicht.

Es ist gut, daß wir unsre lästigen freien Gäste mit ihren weiten Hälsen vom Halse haben, |3 übrigens haben wir uns, besonders Güterbesitzer, nicht viel Gutes zu versprechen.

Richters , Alt und Jung, sind wohl.

Er war einen Tag zur Lust in Bamberg und ist gestern zurück gekommen .

Im nächsten Frühling will er in Frankfurth blühen und zwar erst mit Sack und Pack dahin ziehen, weil ihn gute Menschen dahin locken.

Otto's sind fleisig in der Schrift.

Er hat der deutschen Welt, unter seinem jetzigen Namen Georgius, Manches jetzt gegeben , was mit vollem Rechte gut geheißen wird und sie hat ihr einen Roman, Antonius, geliefert , den Richter, der scharfe Richter, lobet.

Mein alter Uhlfelder gärtelt.

Sein Sohn hat ihn besucht und ist wieder nach Carlsruhe zurück.

Seine Ella und mein Israel werden in einigen Monaten sich auf ewig vereinigen .

Seine Silli wird nun auch bald unter die Haube und also an das gute Ziel kommen .

Meine alte Voigt in Schwarzach ist Wittwe .

Morgen besuch' ich sie – als diese – zum zweitenmal.

Das sind, wie Du weißt, so meine Lieblinge in der |4 Nähe.

Meine Entfernten schreiben mir und ich ihnen, doch nicht so oft mehr als sonst.

Übrigens leb' ich immer mehr zurück und eingezogen, wobei ich mich so ziemlich wohl befinde.

Wohl möcht' ich Bayreuth verlassen, aber mich bindet mein alter Vater, mein Uhlfelder, Döhlau und mehreres.

So werd' ich gebunden alt und – werd' ich einst frei, dann wird die Ruhe mir gefallen und ich werde bleiben gerne wo ich bin.

Sag Du mir mein Thieriot, Deines Lebens Plan, sag mir etwas Bestimmtes von Deiner Zukunft, die Du Dir zu schaffen gesonnen.

Ich möchte Dich einmal wieder sehen und das recht heimisch, nicht mehr als Wanderer.

Richters Kinder wachsen an Geist und Körper heran und würden viel Freude Dir machen.

Mich hat es gefreut, daß Du Deinen Bruder bei Dir gehabt; er schickte mir ein Blatt von Dir .

Bring Vater Pestalozzi zu uns ins deutsche Land, damit es mir leichter wird ihn meine Hand voll Dank zu reichen und dazu meine Brust.

Erhalt mir Deine Liebe und Dich, Deinem

Emanuel.

Zitierhinweis

Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 29. August 1810, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1910


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin V, 138
1 Dbl. 8°, 4 S.


Korrespondenz

B: Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Yverdon, vor Ostern 1810